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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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hatte ich vom ersten Augenblick an begriffen, daß sie sich auch vor mir schützten, denn es konnte ja sein, daß ich ansteckend war.
    Wieso eigentlich? Ich war jung und kerngesund. Und doch ließen sie mich auch durch den Arzt untersuchen. Es war eine ekelhafte Angelegenheit, und auch dem Arzt schien sie irgendwie peinlich. Ihr Hausarzt war ein alter Mann, und er bemühte sich, die heikle Untersuchung scherzhaft hinter sich zu bringen. Aber ich merkte, daß er von einem ärztlichen oder noch mehr von einem hausärztlichen Standpunkt die Sache schon richtig fand. Da war ein junger Herr im Haus, es war zu befürchten, daß er früher oder später ein Verhältnis mit mir anfing, mit mir, dem Küchenmädchen aus der Grube. Und da hätte er von mir die Tuberkulose oder den Tripper bekommen können. Und doch fühlte ich auch, daß sich der kluge alte Mann für diese Vorsicht und Voraussicht schämte. Aber ich war nicht krank, und so duldeten sie mich im Haus wie einen Rassehund, den man nicht zu impfen braucht. Und der junge Herr las bei mir keine Krankheit auf. Nur nahm er mich eines Tages, viel später, zur Frau. An diese Gefahr, an diese unerwartete Ansteckung hatte niemand gedacht. Wahrscheinlich nicht einmal der Hausarzt. Man ist nie vorsichtig genug, mein Schatz. Ich glaube, wenn ihnen eingefallen wäre, daß es auch derartige Ansteckungen gibt, hätte sie der Schlag getroffen, jedenfalls den alten Herrn.
    Die alte Frau war anders. Die hatte um anderes Angst. Nicht um ihren Mann, nicht um ihren Sohn, nicht um das Vermögen. Sie hatte um das Ganze Angst. Weißt du, für sie war die Familie, die Fabrik, die palastartige Wohnung, die ganze Herrlichkeit wie eine seltene Antiquität, von der es nur noch ein Exemplar gibt. Wie eine chinesische Vase, die sehr viel wert ist, Millionen vielleicht. Und wenn sie zerbricht, kann man sie nicht ersetzen. Das Ganze, ihr Leben, wer sie waren und wie sie lebten, war für sie ein kostbares Kunstwerk. Manchmal denke ich, daß diese Angst gar nicht so dumm war. Denn da ist etwas untergegangen, das nicht wiederkommt.
    Ob sie verrückt war? Na klar, die waren alle verrückt. Nur der alte Herr nicht. Aber alle anderen, die im Haus lebten, wir auch, das Personal, fast hätte ich gesagt, das Pflegepersonal, auch wir wurden allmählich verrückt. Du weißt ja, wie in der Klapsmühle die Pfleger, die Assistenzärzte, der Oberarzt, die sich alle mit der Zeit an dem unsichtbaren schleichenden Gift anstecken, das die Verrücktheit ist. Weil es sich ausbreitet und wuchert im Krankensaal, in dem die Verrückten wohnen, weil es alle vergiftet, auch wenn es von keinem Instrument entdeckt werden kann. Wer als Gesunder unter die Verrückten gerät, wird langsam auch verrückt. Auch wir waren nicht normal, wir, die sie bedienten, fütterten, wuschen, der Diener, die Köchin, der Chauffeur und ich. Wir waren die vom inneren Dienst, wir lasen als erste die Verrücktheit auf. Wir äfften ihre Art nach, spöttisch, aber trotzdem ehrfürchtig. Wir bemühten uns, so zu leben, uns so zu kleiden und zu benehmen wie sie. Auch wir boten einander beim Essen in der Küche mit gewählten Worten und feinen Gesten die Speisen an, so wie wir es drinnen im Eßzimmer gesehen hatten. Auch wir sagten, wenn wir einen Teller zerbrachen: »Ich bin nervös. Ich habe die Migräne.« Meine arme Mutter, die sechs Kinder geboren hatte, klagte nie über die Migräne. Wahrscheinlich, weil sie keinen Schimmer hatte, was Migräne ist. Ich hingegen litt bereits an der Migräne, denn ich hatte die Dinge schnell raus, und wenn ich in der Küche aus Ungeschicklichkeit einen Teller zerbrach, preßte ich mir die Hände an die Schläfen, blickte die Köchin leidend an und sagte: »Offenbar weht Südwind …« Und wir grinsten einander nicht an, die Köchin und ich, wir lachten einander nicht aus, denn jetzt durften auch wir uns die Migräne gestatten. Ich veränderte mich rasch. Nicht nur wurden meine Hände weißer, sondern ich wurde auch innerlich blaß. Als mich meine Mutter einmal besuchte, es war im dritten Jahr meiner Anstellung in jenem Haus, da begann sie zu weinen. Aber nicht vor Freude. Sondern vor Schreck, als ob mir eine zweite Nase gewachsen wäre.
    Die Hausbewohner waren also verrückt, aber sie waren von der Art, die tagsüber freundlich plaudert, während der Arbeitszeit im Büro alles erledigt, angenehm lächelt, sich einwandfrei nach allen Seiten verbeugt und dann plötzlich etwas Unanständiges sagt oder mit der Schere

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