Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Doch was konnte ich schon beichten? Worin bestand denn meine Sünde? Ich hatte das Gefühl, es gebe kein unschuldigeres Geschöpf auf Erden als mich. Dieses Gefühl habe ich nicht mehr … Sünde ist nicht nur das, was der Katechismus so nennt. Sünde ist nicht nur etwas, das wir tun. Sünde ist auch etwas, das wir tun möchten, wozu uns aber die Kraft fehlt. Als mein Mann – zum ersten- und letztenmal im Leben – mich im Kinderzimmer so seltsam grob anfuhr, da begriff ich, daß ich in seinen Augen sündig war, weil ich das Kind nicht gerettet hatte.
Du schweigst, wie ich sehe, und blickst verlegen vor dich hin. Du meinst, das seien eben die verletzten Gefühle, nur ein Verzweifelter übertreibe so ungerecht. Ich fand die Anklage keinen Augenblick unbegründet. Du sagst, es sei ja »alles getan worden«. Nun, ja, ein Untersuchungsrichter könnte mich nicht verhaften lassen, denn tatsächlich ist alles getan worden, was nach Ansicht der Menschen zu tun war. Acht Tage lang hatte ich am Bett des Kindes gesessen, ich schlief dort, ich pflegte es, und ich kümmerte mich nicht um die Empfindlichkeit der Mediziner, sondern ließ auch andere Ärzte kommen, als der erste und der zweite nicht helfen konnten. Ja, es ist alles getan worden. Aber doch nur, damit mein Mann leben konnte, damit er mir erhalten blieb, damit er mich liebte, und wenn’s nicht anders ging, dann eben durch das Kind. Verstehst du? … Ich betete um meinen Mann, wenn ich um das Kind betete. Nur sein Leben war wichtig, auch das Leben des Kindes war nur deswegen wichtig. Sünde, sagst du! … Was ist Sünde? Ja, ich weiß jetzt, was Sünde ist. Man muß einen Menschen ganz lieben und ganz festhalten, von innen, mit aller Kraft. Das ist zusammengebrochen, als das Kind starb. Und ich wußte, daß ich meinen Mann verloren hatte, weil er mir, ohne etwas zu sagen, die Schuld gab. Unsinnig und ungerecht, sagst du … Ich weiß es nicht. Ich mag nicht darüber reden.
In der Zeit nach dem Tod des Kindes war ich völlig erschöpft. Natürlich wurde ich auch gleich krank, Lungenentzündung, dann ging es mir wieder besser, dann hatte ich einen Rückfall. Kränkelte monatelang, lag im Sanatorium, bekam Blumen von meinem Mann, der mich mittags und abends auf dem Heimweg von der Fabrik besuchte. Ich war so schwach, daß mich die Krankenschwester füttern mußte. Und ich wußte, daß mir das alles nichts nützte, daß mir mein Mann nicht verzieh, daß ihn auch meine Krankheit nicht gnädig stimmte. Er war unverändert höflich und zärtlich und so beängstigend korrekt … wenn er gegangen war, mußte ich jedesmal weinen.
Auch meine Schwiegermutter besuchte mich oft. Einmal, zu Anfang des Frühlings, als ich ein wenig zu Kräften gekommen war, saß sie neben meinem Liegestuhl, strickte und schwieg, wie es ihre Gewohnheit war. Dann legte sie das Strickzeug hin, nahm die Brille ab, lächelte mich freundlich an und sagte vertraulich: »Was ist das mit der Rache, Ilonka?«
»Wieso?« fragte ich erschrocken und wurde rot. »Wie meinen Sie das?«
»Als du Fieber hattest, sagtest du immer wieder: ›Rache, Rache.‹ Es gibt keine Rache, mein Liebes. Es gibt nur die Geduld.«
Ich horchte erregt auf. Es war vielleicht das erstemal seit dem Tod des Kindes, daß ich aufmerksam wurde. Dann begann ich zu reden: »Ich halte das nicht aus, Mama. Was habe ich verbrochen? Ich weiß, ich bin nicht unschuldig, aber ich kann nicht verstehen, wo ich mich versündigt habe, wo meine Schuld ist. Gehöre ich nicht zu ihm? Sollen wir uns scheiden lassen? Wenn Sie das für richtiger halten, Mama, dann lasse ich mich von ihm scheiden. Sie wissen doch, daß ich keinen anderen Gedanken, kein anderes Gefühl habe als ihn. Aber wenn ich ihm nicht helfen kann, lasse ich mich lieber scheiden. Bitte, Mama, raten Sie mir.«
Sie blickte mich klug, ernst und traurig an: »Reg dich nicht auf, mein Kleines. Du weißt doch genau, daß man niemandem raten kann. Man muß leben, man muß das Leben ertragen.«
»Leben, leben«, rief ich. »Ich kann nicht bloß so leben wie ein Baum. Leben kann man nur, wenn man weiß, wozu. Ich habe ihn kennengelernt, ich habe mich in ihn verliebt, und da bekam das Leben einen Sinn. Dann ist alles so seltsam geworden … Ich kann nicht einmal sagen, er habe sich verändert. Ich kann nicht sagen, er liebe mich jetzt weniger als im ersten Jahr. Er liebt mich noch, aber er ist mir auch böse.«
Meine Schwiegermutter sagte nichts. Sie schwieg, weil sie zu mißbilligen schien,
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