Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
sei demütigend, grausam, unmenschlich. Ich müsse etwas verändern, ein Wunder tun. Es gibt solche schwindelerregenden Augenblicke im Leben, wenn man alles klarer sieht, wenn man seine eigene Kraft, seine Möglichkeiten spürt und erkennt, wozu man bisher zu feige gewesen war, oder zu schwach. Das sind die Momente, in denen sich das Leben ändert. So etwas kommt ohne Ankündigung, wie der Tod oder die Bekehrung.
Ich hatte am ganzen Körper Gänsehaut, mir war kalt.
Ich betrachtete den Garten, und meine Augen füllten sich mit Tränen.
Was ich fühlte? … Daß ich für mein Schicksal verantwortlich war. Daß alles von mir abhing. Man kann nicht darauf warten, daß einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, weder im eigenen Leben noch in den menschlichen Beziehungen. Zwischen mir und meinem Mann war etwas nicht in Ordnung. Ich verstand mich nicht auf ihn. Er war nicht mein, wollte nicht ganz der Meine sein. Aber in seinem Leben gab es keine andere Frau … ich war schön, jung, und ich liebte ihn. Auch ich hatte Macht, nicht nur Lázár, der Wahrsager. Und diese Macht wollte ich einsetzen.
Ich fühlte eine ungeheure Kraft in mir, eine Kraft, mit der man töten oder Welten bauen kann. Vielleicht spüren nur die Männer diese Kraft ganz bewußt, in den entscheidenden Momenten ihres Lebens. Während wir Frauen davor zurückschrecken und unsicher werden.
Aber ich wollte nicht zurückweichen. An dem Tag, Sonntag, dem 14. April, einige Monate nach dem Tod des Kindes, entschloß ich mich zur einzigen selbstbewußten Unternehmung meines Lebens. Jawohl. Du brauchst mich nicht mit so großen Augen anzuschauen. Hör zu. Dir erzähle ich es.
Ich beschloß, meinen Mann zu erobern.
Warum lachst du nicht? … Es ist gar nicht zum Lachen, was? Ich hatte auch nicht das Gefühl.
Aber zuerst war ich von der Größe der Aufgabe überwältigt. Mir stockte der Atem, so sehr beeindruckt war ich. Denn ich fühlte auch, daß diese Aufgabe der Sinn meines Lebens war und daß ich nicht mehr zurück konnte, es nicht mehr der Zeit oder dem Zufall überlassen durfte, daß vielleicht etwas geschah, während ich in resignierter Erwartung vor mich hin lebte. Jetzt wußte ich, daß nicht nur ich die Aufgabe gewählt hatte, sondern die Aufgabe auch mich. Wir hielten einander fest, auf Leben und Tod, und würden uns nicht mehr loslassen, bis etwas Entscheidendes geschehen war. Entweder kam dieser Mann zu mir zurück, von innen her und vollständig, ohne Hemmungen und Vorbehalte, oder ich ging von ihm weg. Entweder hatte er ein Geheimnis, das ich nicht kannte, und dann würde ich es ausgraben, mit allen zehn Fingern, wenn es sein mußte, aus dem Boden herauskratzen wie der Hund den vergrabenen Knochen, wie der wahnsinnig gewordene Liebhaber die Leiche der verstorbenen Geliebten. Oder ich würde scheitern und mich zurückziehen. Denn so ging es nicht weiter. Wie gesagt, ich beschloß, meinen Mann zu erobern.
Das klingt ganz einfach. Aber als Frau weißt du ja, daß es eine der schwierigsten Aufgaben der Welt ist. Vielleicht die schwierigste, wenn ich es recht bedenke.
Wenn ein Mann beschließt, etwas auszuführen, und steht auch eine ganze Welt zwischen ihm und seinem Plan, seinem Willen, seiner Absicht … ja genau, so eine Situation war das irgendwie, so ein Seelenzustand. Unsere Welt ist der Mensch, den wir lieben. Als Napoleon, von dem ich übrigens auch heute nicht viel mehr weiß, als daß er für kurze Zeit der Herr der Welt war und den Herzog von Enghien umbringen ließ – was schlimmer als ein Verbrechen war, es war ein Fehler, habe ich das schon gesagt? –, also, als Napoleon beschloß, Europa zu erobern, da nahm er keine schwierigere Aufgabe auf sich als ich an jenem windigen Aprilsonntag.
Vielleicht empfindet ein Forscher etwas Derartiges, wenn er beschließt, sich nach Afrika aufzumachen oder zum Nordpol, ungeachtet der wilden Tiere oder des Klimas, um etwas zu entdecken, zu erfahren, was vor ihm noch niemand erfahren, noch kein Forscher entdeckt hat … Ja, irgendwie ist es auch so, wenn eine Frau beschließt, das Geheimnis eines Mannes zu ergründen. Und wenn sie durch die Hölle hindurchmuß, das Geheimnis will sie ihm entreißen. Dafür also hatte ich mich entschieden.
Oder die Absicht hatte für mich entschieden … so genau kann man das nicht wissen. Man handelt in solchen Momenten unter Zwang. So machen sich Schlafwandler, Wünschelrutengänger und die Besessenen des Dorfes auf, während ihnen alle in
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