Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
fremden Priester, den ich danach nie wieder gesehen habe, erzählte ich alles.
Auf eine Art, wie man nur einmal im Leben zu beichten vermag. Alles, was mich, das Kind und meinen Mann betraf. Ich erzählte ihm, daß ich meinen Mann zurückgewinnen wolle und nicht wisse, wie. Ich bäte um Gottes Hilfe. Ich erzählte ihm, daß ich eine Frau von reinem Lebenswandel sei, daß ich nicht im Traum an anderes dachte, sondern nur an die Liebe meines Mannes. Ich sagte, ich wisse nicht, wo der Fehler sei, in mir oder in ihm … Kurz und gut, ich erzählte ihm alles. Nicht so wie jetzt dir. Jetzt kann ich nicht mehr alles sagen, es wäre mir auch peinlich … Doch an jenem Morgen in der dämmerigen Kirche sagte ich dem unbekannten alten Priester alles.
Es ging lange. Der Priester hörte zu.
Warst du schon einmal in Florenz? … Kennst du die Skulptur von Michelangelo, weißt du, die wunderbare Vierergruppe im Dom … warte, wie heißt sie doch? Ach ja, Pietà . In einer der Figuren hat er sich selbst abgebildet, sie hat das Gesicht des greisen Michelangelo. Ich war mit meinem Mann dort, er hat mir die Statue gezeigt. Und gesagt, das sei das Menschengesicht, in dem weder Groll noch Sehnsucht sei, alles sei aus diesem Gesicht weggebrannt, es wisse alles und wolle nichts, nicht strafen, nicht verzeihen, nichts, rein gar nichts. So sollte man sein, sagte mein Mann vor der Statue. Das sei die endgültige menschliche Vollkommenheit, diese heilige Gleichgültigkeit, dieses vollständige Alleinsein, diese Taubheit gegenüber Schmerz und Freude. Das hat er gesagt. Als ich während des Beichtens mit Tränen in den Augen hin und wieder zum Priester aufblickte, sah ich, daß sein Gesicht beängstigend an jene Pietà -Figur erinnerte.
Er saß mit halbgeschlossenen Augen und über der Brust verschränkten Armen da. Er sah mich nicht an, hatte den Kopf ein bißchen abgewandt und schwieg auf eine so seltsame, blicklose Weise, als hörte er gar nicht zu. Oder als habe er das alles schon sehr oft gehört. Als wisse er, daß alles, was ich sagte, unnötig und hoffnungslos war. Auf diese Weise hörte er mich an. Und hörte doch gut zu, mit seinem merkwürdigen, in sich selbst ruhenden Wesen. Und sein Gesicht, ja … Sein Gesicht war wie das eines Menschen, der alles wußte, alles, was die anderen von Leid und Elend erzählen mochten, und der darüber hinaus noch etwas wußte, das man nicht sagen kann.
Nachdem ich verstummt war, schwieg auch er lange Zeit. Dann sagte er: »Man muß glauben, meine Tochter.«
»Ich glaube, Hochwürden«, sagte ich mechanisch.
»Nein«, sagte er, und das ruhige Gesicht, dieses scheintote Gesicht, lebte auf, die wäßrigen alten Augen blitzten. »Man muß auf eine andere Art glauben. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über solche Schachzüge. Es genügt zu glauben«, murmelte er.
Er mußte schon sehr alt sein, das Reden schien ihn zu ermüden.
Ich dachte, er könne oder wolle nichts mehr sagen, und so wartete ich schweigend auf die Buße und die Absolution. Ich hatte das Gefühl, wir hätten einander nichts mehr zu sagen. Doch nach einer langen Zeit, in der er mit geschlossenen Augen dagesessen hatte und vielleicht eingenickt war, begann er plötzlich, lebhaft zu reden.
Ich hörte ihm zu und staunte immer mehr. So hatte noch nie jemand zu mir gesprochen, schon gar nicht im Beichtstuhl. Er redete ganz schlicht, im Konversationston, als säßen wir irgendwo in einer Gesellschaft. Er redete einfach, ohne salbungsvollen Ton, seufzte manchmal klagend, nach Art der alten Leute, sehr nett. Er sprach so natürlich, als wäre die ganze Welt Gottes Kirche, als wäre alles Menschliche Gottes Teil, so daß wir vor Gott nicht feierlich zu tun, die Augen zu verdrehen und uns auf die Brust zu klopfen brauchten, da es genügte, wahr zu reden, solange es die ganze Wahrheit war und ohne Hintergedanken geschah … Auf die Art sprach er.
Sprach? … Wie gesagt, er plauderte eher, unvoreingenommen und halblaut. Seine Stimme hatte einen leicht slawischen Beiklang. Diesen Akzent hatte ich zuletzt als Kind in Zemplén gehört.
»Liebe Tochter«, sagte er. »Ich möchte Ihnen helfen. Einmal ist eine Frau zu mir gekommen, die liebte einen Mann so, daß sie ihn umgebracht hat. Nicht mit einem Messer, auch nicht mit Gift, sondern damit, daß sie ihn nicht losließ, sie wollte ihn ganz, sie wollte ihn der Welt wegnehmen. Sie haben lange gekämpft. Eines Tages konnte der Mann nicht mehr, und er ist gestorben. Die Frau wußte das. Der
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