Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Geheimnisse herumzeigen. Aber es ist immer noch besser, die Wahrheit zu hören, als verlogen zu reden. Leider habe ich, wo immer ich mich hinwandte im Leben, zumeist nur Lügen gehört.
Du fragst, was die Wahrheit sei und wie Heilung und Fähigkeit zur Freude möglich seien. Ich will es dir sagen, mein Lieber. Mit zwei Wörtern. Demut und Selbsterkenntnis. Das ist das ganze Geheimnis.
Demut, das ist vielleicht ein zu großes Wort. Dazu braucht es schon Gnade, einen außergewöhnlichen Seelenzustand. Im Alltag reichen auch Bescheidenheit und das Bemühen, unsere wirklichen Sehnsüchte und Neigungen zu erkennen. Und daß wir sie uns ohne Hemmungen eingestehen. Und sie dann mit den gegebenen Möglichkeiten in Einklang bringen.
Du lächelst, wie ich sehe. Du sagst, wenn das alles so einfach ist, wenn es für das Leben einen Leitfaden gibt, warum es mir dann nicht gelungen sei? Schließlich habe ich mit zwei Frauen experimentiert, voll und ganz, auf Leben und Tod. Ich könne nicht einmal sagen, das Leben habe mir seine Schutzengel vorenthalten. Und doch sei ich gescheitert, mit beiden, und sei allein geblieben. Umsonst die Selbsterkenntnis, umsonst die Demut, die großen Vorsätze. Ich sei gescheitert und rede jetzt einfach so daher. Das denkst du, stimmt’s?
Ich muß dir also erzählen, wie die erste war und warum die Sache schiefgegangen ist. Die erste war vollkommen. Und ich kann auch nicht sagen, ich hätte sie nicht geliebt. Sie hatte bloß einen einzigen kleinen Fehler, für den sie aber wirklich nichts konnte. Du brauchst nicht an einen seelischen Mangel zu denken. Das Problem war einfach, daß sie eine Bürgerliche war, die Arme. Versteh mich nicht falsch, ich bin ja auch ein Bürger. Ich bin es bewußt, kenne die Fehler und Laster meiner Klasse genau, und ich nehme sie, die Klasse, das bürgerliche Schicksal, auf mich. Ich mag die Salonrevolutionäre nicht. Man soll denen treu bleiben, mit denen man durch Abstammung, Erziehung, Interessen und Erinnerungen verbunden ist. Alles, was ich bin, verdanke ich dem Bürgertum: meine Erziehung, meine Lebensweise, meine Ansprüche und auch die reinsten Augenblicke meines Lebens, die großen Augenblicke des gemeinsamen Eingeweihtseins in eine bestimmte Kultur … Jetzt ist immer wieder davon die Rede, daß diese Klasse eingehen wird, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hat und für die führende Rolle, die sie in den vergangenen Jahrhunderten innehatte, nicht länger geeignet ist. Davon verstehe ich nichts. Ein Gefühl sagt mir, daß man das Bürgertum ein bißchen allzu eifrig und ungeduldig begräbt; vielleicht ist in dieser Klasse noch eine Kraft verblieben, vielleicht wird sie in der Welt noch eine Rolle spielen, vielleicht wird gerade das Bürgertum die Brücke sein, auf der die Revolution mit der Ordnung zusammentrifft. Wenn ich sage, daß meine erste Frau eine Bürgerliche war, ist das keine Anklage, sondern die Feststellung eines Seelenzustands. Auch ich bin hoffnungslos bürgerlich. Und meiner Klasse treu. Wenn sie angegriffen wird, verteidige ich sie. Aber ich verteidige sie nicht blind, nicht voreingenommen. Ich will in der gesellschaftlichen Stellung, die mir zuteil geworden ist, klar sehen, und deshalb muß ich wissen, was unser Vergehen war, ob es wirklich eine bürgerliche Krankheit gegeben hat, an der diese Klasse eingegangen ist. Doch darüber habe ich mit meiner Frau natürlich nie geredet.
Was also das Problem war? Wart mal. Erstens, daß ich die Art von Bürger war, welche die Rituale kennt.
Ich war reich, die Familie meiner Frau war arm. Doch Bürgerlichkeit ist keine Frage des Geldes. Ja, nach meiner Erfahrung klammern sich gerade die armen Bürger krampfhaft an die bürgerliche Mentalität und Lebensform. Der Reiche wird nie so peinlich genau an den gesellschaftlichen Sitten festhalten, an der bürgerlichen Ordnung, an den Anstandsregeln und Ehrbezeigungen, wie es die Kleinbürger in jedem Augenblick ihres Lebens zu ihrer Rechtfertigung brauchen, wie etwa der Bürovorstand, der genau Buch führt über die mit der Lohnklasse steigenden Wohnansprüche, Kleidervorschriften und Regeln des Gesellschaftslebens … Der Reiche ist für ein gedämpftes Abenteurertum immer zu haben, er ist bereit, sich einen Bart anzukleben und über eine Strickleiter für eine Zeit aus dem vornehmen, langweiligen Gefängnis des Besitzes zu verschwinden. Es ist meine heimliche Überzeugung, daß sich der Reiche von morgens bis abends langweilt. Der Bürger jedoch, der nur
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