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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Künstler, Schriftsteller, würde ich sie anflehen, anspornen, sich zur Freude zu bekehren. Die Einsamkeit zu verlassen, sich aus ihr zu lösen. Das ist vielleicht nicht nur ein Wunschbild. Und auch keine gesellschaftliche Frage. Es ist eine Frage der Erziehung, des Erwachens. Heutzutage haben die Menschen einen so glasigen Blick, als wären sie Schlafwandler. Glasig und mißtrauisch … Bloß habe ich keinen solchen Beruf.
    Doch einmal bin ich einem Gesicht begegnet, dem diese verkrampfte Unzufriedenheit, diese mißtrauische, benommene Anspannung fehlte.
    Ja, du hast sie vorhin gesehen. Aber das Gesicht, das du gesehen hast, ist nur noch eine Maske, das Kunstgesicht zu einer Rolle. Als ich das Gesicht zum erstenmal sah, war es offen, so erwartungsvoll, strahlend und offen, wie es das Gesicht der Menschen zu Beginn des Lebens gewesen sein muß, als sie noch nicht vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten und Schmerz und Angst noch nicht kannten. Dann wurde es allmählich ernster. Die Augen begannen zu beobachten, der Mund, dieser gespaltene, selbstvergessen offene Mund, schloß sich, wurde härter. Judit Áldozó, so hieß sie. Ein Bauernmädchen. Sie war mit sechzehn zu uns gekommen, als Dienstmädchen in mein Elternhaus. Wir hatten nichts miteinander. Das war das Problem, sagst du? … Das glaube ich nicht. Man sagt solche Dinge, aber das Leben mag diese billigen Weisheiten nicht. Es ist bestimmt kein Zufall, daß ich kein Verhältnis mit diesem Bauernmädchen hatte, das ich später geheiratet habe.
    Aber das war meine zweite Frau. Du möchtest von der ersten hören. Ja nun, mein Lieber, die erste, die war ein großartiges Geschöpf. Intelligent, aufrichtig, schön, gebildet. Du siehst, ich rede von ihr wie in einem Heiratsinserat. Oder wie Othello, als er sich aufmacht, Desdemona zu töten: » So fein mit der Nadel, bewundrungswürdig in der Musik! Oh, sie würde die Wildheit eines Bären wegsingen.« Soll ich noch hinzufügen, daß sie die Literatur liebte und ebenso die Natur? Denn ich kann es ruhigen Gewissens sagen. So preisen in den Provinzblättern pensionierte Oberförster ihre jüngeren Schwestern an, mit der Einschränkung eines kleinen körperlichen Gebrechens. Die aber, die erste, hatte nicht einmal das. Sie war jung, schön und sensibel … Was dann das Problem war? Warum ich mit ihr nicht leben konnte? Was gefehlt hat? Die physischen Freuden? Nein, das stimmt nicht, ich würde lügen, wenn ich das sagte. Ich habe mit ihr im Bett mindestens so viele gute Momente gehabt wie mit anderen Frauen, jenen berufenen Kämpferinnen im Zweikampf der Liebe. Ich halte nichts von den Don Juans, ich glaube nicht, daß man gleichzeitig mit mehreren Frauen leben darf. Man muß aus einem einzigen Menschen das Instrument machen, das sämtliche Melodien wiederzugeben vermag. Manchmal tun mir die Menschen leid: Sie greifen so sinn- und hoffnungslos nach allen Seiten … Man möchte ihnen auf die Hand schlagen und sagen: »Laß das! Nimm die Hände weg! Sitz anständig da. Es wird jeder bekommen, was ihm zusteht, der Reihe nach.« Sie sind wirklich wie gierige Kinder. Sie wissen nicht, daß ihre Ruhe manchmal nur von der Geduld abhängt, daß die Harmonie, die sie mit einem ungenauen Wort Glück nennen, aus ganz einfachen Griffen entsteht und nicht mit verkrampfter Aufmerksamkeit gesucht zu werden braucht … Sag, warum wird die Beziehung zwischen Männern und Frauen nicht in den Schulen gelehrt? Ich meine das ernst. Das ist doch mindestens so wichtig wie die Geographie der Berge und Gewässer unserer Heimat oder wie die Grundlagen der richtigen Konversation. Davon hängt doch die Seelenruhe der Menschen mindestens so sehr ab wie vom Anstand und von der Orthographie. Ich denke da nicht an irgendwelche frivolen Fächer, ich meine nur, daß intelligente Menschen, Dichter, Ärzte, die Freuden, die Möglichkeiten des Zusammenlebens von Männern und Frauen rechtzeitig lehren sollten. Es geht also nicht um das »Geschlechtsleben«, sondern um die Freude, die Geduld, die Bescheidenheit, die Zufriedenheit. Wenn ich die Menschen verachte, so verachte ich am ehesten diese Feigheit – die Feigheit, mit der sie das Geheimnis ihres Lebens vor sich und der Welt verbergen.
    Versteh mich nicht falsch. Auch ich mag die vollmundige, schmatzende Selbstdarstellung, den seelischen Exhibitionismus nicht. Aber ich mag die Wahrheit. Natürlich verschweigt man sie meistens, weil nur Kranke oder Egomanen oder ähnlich veranlagte Wesen ihre

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