Wanja und die wilden Hunde
Eier sind doch schon genug gewesen. Was bringst du denn noch zwei?«, frage ich.
Tonja drückt mir die Eier entschieden in die Hand und sagt: »Das ist so in Ordnung!«
Damit Tonjas Ordnung wiederhergestellt ist, nehme ich die Eier an mich.
Am Abend klopft es.
Galja, die mir drei Eier gegeben hat, steht vor der Tür. Ich bitte sie herein, laufe schnell vor ihr durch den Flur in die Küche und werfe ein Tuch über die vier Eier von Tonja. Sicher ist sicher.
Wer will schon einen Eierkrieg.
Wanja und Laska laufen auf dem Weg zum Fluss zu einer Stelle auf der Wiese und schnüffeln intensiv. Bei näherem Hinschauen entdecke ich einen kleinen Fellberg. Zuerst vermute ich, dass es sich dabei um ein totes Tier handelt, und rufe die beiden von dort weg.
Laska kommt zu mir, Wanja bleibt, wo er ist.
Ich rufe ihn energischer.
Er legt sich neben den Fellberg und schaut mich ruhig an.
Ich gehe zu ihm und sehe, dass sich das Fell bewegt. Ein kleiner, uralt wirkender Hund schaut mich an. Er hat überall offene Hautstellen und ist sehr schwach. Kurz geht mir durch den Sinn, dass er sich vielleicht zum Sterben hierher zurückgezogen hat und wir ihn nun dabei stören. Dennoch spricht Wanjas Verhalten dagegen und auch die Freude des kleinen Hundes, der sogleich vertrauensvoll mit dem Schwanz wedelt. Ich berühre ihn sanft, und er legt sich sofort auf den Rücken und streckt mir sein dünnes Bäuchlein entgegen.
Es ist eine Hündin. Sie hat ein schwarz-braunes Fell und wirkt wie eine Mischung aus Dackel und Spitz.
Ich nehme sie auf den Arm und klopfe bei den umliegenden Höfen. Wo ich auch nachfrage, niemand kennt die Hündin. Ich trage die alte Hundedame in mein Haus und warte, ob sich ein Besitzer meldet.
Die alte Baba
Ich wasche ihre offenen Stellen, salbe die Wunden und füttere sie. Was sie jedoch am meisten sucht, sind Streicheleinheiten. Sie ist eine ganz zauberhafte alte Hundedame mit viel Charme und einem rührenden Bedürfnis nach sehr viel Nähe. Kaum ist sie kräftiger, beginnt sie, mir auf Schritt und Tritt hinterherzulaufen. Halte ich in meinem Tagwerk einmal inne, blickt sie mich sofort erwartungsvoll an, denn ich könnte ja kurz eine Hand und eine Minute frei haben, um sie zu streicheln. Natürlich tue ich das auch, weil ich die Hündin, wie der ganze Rest der Gruppe, sofort in mein Herz geschlossen habe.
Ich nenne sie Baba (Weib).
Niemand meldet sich. Niemand vermisst sie.
Baba wird schnell gesund, ihr Fell und ihre Haut erholen sich, ihr dünnes Bäuchlein füllt sich, ihre großen schwarzen Augen strahlen. Sie beginnt mit uns noch einmal ein neues altes Leben.
Vertrauen
Auch mit mir gehen Veränderungen vor.
Ich spüre die sehr zarten Knospen eines für mich eher unbekannten Gefühls. Es heißt Vertrauen.
Die Vertrautheit, mit der die einander völlig fremden Hunde schon nach kurzer Zeit miteinander umgehen, die Zuneigung und Freundschaft, die mir die Dorfbewohner als Fremde zukommen lassen, die Bodenständigkeit der Menschen, die sich ihres Lebenssinnes völlig bewusst sind und die mir ein Gefühl davon vermitteln, »richtig zu sein«, all das trägt dazu bei, dass ich sehr vorsichtig versuche, erneut Vertrauen zu wagen.
Jeden Tag sitze ich nach der Erledigung meiner Aufgaben mit Baba Pascha zusammen. Pascha ist eine »Nicht Hiesige«, wie meine Nachbarin mir erzählte. Sie wohnt erst seit sechzig Jahren in Lipowka, und wenn ich die Bauern frage, wo Pascha herkommt, erhalte ich die Auskunft: »von hinter den Sümpfen.« Von Pascha erfahre ich, dass damit das fünfundzwanzig Kilometer entfernte Dorf Kadem gemeint ist. Pascha konnte keine Kinder bekommen und hat somit auch keine Enkelkinder. Ich habe meine Großmütter nicht kennenlernen können.
Wir adoptieren einander.
Auch in anderer Hinsicht ergänzen wir uns gut. Pascha hört schwer. Ich verstehe und spreche noch sehr schlecht das völlig ungewohnte Dorfrussisch.
Daljeko sagt zum Beispiel der Moskauer, wenn er etwas als »weit weg« bezeichnen möchte.
Meine »Adoptiv-Großmutter« Pascha und ich
Daljooooooooko sagt der Lipowkaer.
Es braucht ein halbes Jahr, bis ich verstehe, dass ich alles nur so aussprechen muss wie die Menschen in meiner Heimatstadt Leipzig: Vokabel in den Mund nehmen, Kiefer hängen lassen und langsam herausschieben. Ich bin in einem russisch-sächsischen Dorf gelandet.
Als Pascha und ich uns in Unterhaltungen versuchen, sieht das am Anfang ungefähr so aus:
Pascha: »Was hast du heute getan? Warst du schon am
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