Wanja und die wilden Hunde
Ruhe, Frauen.«
Die Frauen kichern.
Ich bekomme tatsächlich einen Eindruck davon, wie es hier zuging, als die alten Frauen noch strahlende junge Dorfschönheiten waren. Für Sekunden tauchen diese in ihrem Lachen auf.
In der Dürreperiode scheitert die Brotzufuhr jedoch an dem Schwarzen, der – gepeinigt von der Hitze, den Bremsen und dem tiefen Sand, durch den er den schweren Holzkarren ziehen muss – schon in aller Frühe das Weite sucht. Bereits drei Dienstage hintereinander mussten sich alle Bewohner auf den langen Weg in den Wald machen, weil der Schwarze verschwunden war.
Am vierten Dienstag komme ich zeitgleich mit meiner Nachbarin Galja vor dem Laden an.
»Ist der Schwarze weggelaufen?«, ruft sie bereits von Weitem ein paar schwatzenden Babuschkas zu.
»Ja!«, rufen diese zurück.
»Gut«, sagt Galja, macht kehrt und läuft zur ehemaligen Mühle in den Wald, um wie alle anderen das Brot dort abzuholen.
Auch ich laufe hinterher. Nachdem ich mich jedoch bereits drei Dienstage zurückgehalten habe, frage ich Galja nun: »Aber warum kann man denn nicht dafür sorgen, dass das Pferd NICHT wegläuft?«
Galja sieht mich erstaunt an und antwortet: » Nu, eto sud’ba !« (»Na, das ist doch Schicksal!«)
Tatsächlich nehme auch ich immer mehr diese innere Haltung ein, die es mir leichter macht (hier) zu leben. Dieses Dasein inmitten einer fremden Mentalität ist ein wenig so, wie in eine Leihbibliothek zu gehen. Ich nehme in mich auf, was ich gebrauchen kann, und lasse da, was nicht zu mir gehört.
Auch die Hunde dösen in der Hitze unter dem Haus oder in tiefen, selbstgebuddelten Mulden. Selbst Bambino und Felix tollen nur morgens und abends umher. In der Mittagszeit hebt sich keine Pfote.
Die einzige Ausnahme bildet ein fremder oder nur selten vorbeilaufender Hund. Aus friedlichem Schlummer, aus dem Tiefschlaf, aus komatösen Hitzezuständen, schlägt derjenige Alarm, der den Eindringling zuerst bemerkt hat. Sofort schließen sich alle anderen an. Man kann sehr gut beobachten, dass die zuletzt Erwachten eigentlich gar nicht wissen, warum sie bellen. Es bedarf einer gewissen Zeit der Orientierung, ehe alle aus einem gemeinsamen Grund heraus anschlagen.
Jeder der Hunde äußert sich auf seine Weise. Während Wanja tief und dunkel bellt und sehr gerade, mit hochaufgerichtetem Schwanz vor dem Haus oder im Hof steht, wird der fremde Hund von Laska nur fixiert. Anton bellt in einem hohlen, ja man kann sagen rein informativen Ton, Husar bellt aufgeregt, weil alle bellen, Alma schweigt in ihrem Busch, Milyi bellt eifrig aus einem Gefühl der Zusammengehörigkeit heraus und daher ohne jede Schärfe, Baba bellt hoch und, so scheint es, eher vom Aufruhr im Rudel genervt als von dem vorbeilaufenden Hund. Felix und Bambino springen wie die Verrückten um den Eindringling herum und attackieren ihn mit Scheinangriffen.
Während Wanja und Laska sich sofort wieder entspannt hinlegen, sobald der Hund vorbei ist, Anton noch ein paar Mal »hinterherwufft«, Husar froh scheint, dass die Aktion vorbei ist, und Baba sich eine neue Kuhle gräbt, scheinen Felix und Bambino ihr eigenes Spektakel so zu genießen, dass es ihnen völlig egal ist, wie der Eindringling selbst sich verhält. Auch wenn dieser mit eingeklemmtem Schwanz, angelegten Ohren, weggedrehtem Kopf, geduckt und sich über die Schnauze leckend vorbeischleicht, drehen die beiden so auf, als stünde eine Attacke bevor. Felix bellt hysterisch, umkreist den Hund, stößt mit dem Kopf nach vorn, ohne ihn zu berühren, und ist bemüht, dem vermeintlichen Angreifer sein Gebell für immer in den Gehörgang zu pflanzen. Bambino absolviert ein paar wilde Runden um den Fremden und bellt freudig über die Abwechslung und die eigene Bedeutung als lebende Alarmanlage.
Der größte Fehler, den der andere Hund in diesem Moment machen kann, besteht darin, zu flüchten. Für Felix und Bambino gibt es nichts Wunderbareres als ein davonlaufendes Tier. Wenn es gerade kein Hase ist, tut es auch ein Hund. Gemeinsam nehmen sie die Verfolgung auf, schließen links und rechts an die Seiten des Fliehenden auf und schnappen in seine Hinterläufe, bis er zu Fall kommt.
Das Jagdspiel hat sich erst erledigt, wenn der Fremde sich nicht noch einmal dazu bringen lässt, schnell davonzulaufen, sondern langsam weitergeht.
Mit steil nach oben gerichteten Schwänzen und durchgedrückten Gelenken kehren die beiden zum Rudel zurück. Würden sie Indianergeschichten kennen, brächten sie sicher
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