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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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eine schöne Tochter haben würde. Doch in meiner neuen Familie gab es nur drei Brüder und einen Hund, genau wie in meiner alten Familie. Eher aus einer Laune heraus hatte ich bei dem Auswahlverfahren für meinen Austausch auf einem Fragebogen bei »nicht gläubig, gläubig oder strenggläubig« strenggläubig angekreuzt. Nun musste ich dreimal die Woche in die Kirche. Nicht nur zum Gottesdienst. Ich musste die Kirche fegen und den Altar polieren. Dreimal die Woche! Das war schrecklich.
    Meine Gasteltern mochte ich. Stan und Hazel. Sie waren geduldig und freundlich zu mir. Nur Don, der Jüngste der drei Gastbrüder – er war so alt wie ich –, mochte mich nicht. Er korrigierte mich penibel und verzog sein Gesicht, wenn er mein Englisch hörte. Wenn seine Eltern nicht in der Nähe waren, nannte er mich: The German Robot. Ich lebte mich ein. In der Highschool wählte ich ausschließlich Fächer, die mir gefielen. Bergsteigen – Rockclimbing. Um sechs Uhr morgens wurde ich von einem Schulbus abgeholt und in die Rocky Mountains gefahren. Während wir darauf warteten, dass die Felsen in der Sonne trockneten, gab es Frühstück. Deutsch – ich, das erste Mal in meinem Leben Klassenbester. Woodworking, wir bauten rustikale Vogelhäuser von Furcht einflößender Größe.
    So vergingen die ersten Wochen, bis ich eines Nachmittags zu ungewohnter Zeit einen Anruf von zu Hause bekam. Ich lag auf meinem Wasserbett und hörte Musik. Das Telefon klingelte nebenan im Wohnzimmer. Es klopfte. Hazel kam herein: »It’s for you.«
    Es war mein Vater. Er sagte mir, dass mein mittlerer Bruder verunglückt sei, mit dem Auto – tot. Ich legte auf und ging zurück in mein Zimmer. Es klopfte wieder, und Janet öffnete die Tür. »What happened?« Ich wollte ihr antworten, aber mir fiel kein einziges englisches Wort mehr ein. Ein furchtbares Gestammel. Ich suchte nach den Begriffen, sagte auf Deutsch: »… mein Bruder … äh … mein …«, aber mir fiel nichts ein. Ich stand auf, ging zum Tisch und nahm mir mein Wörterbuch. Mit zitternden Fingern suchte ich mir den Satz zusammen: »My«, blättern, »brother«, blättern, »is dead.« Sie wollte etwas sagen, aber ich unterband es mit einer Stille gebietenden, ausgestreckten Hand und blätterte weiter. Ich fand »Autounfall« – »Car accident«.
    »Your brother got killed in a car accident?« Ich nickte und sagte: »Ja« – wieder auf Deutsch.
    Als ich diese Todesnachricht bekam, standen wir kurz davor, zu einer Reise in den Yellowstone Park aufzubrechen. Da es bis zu meinem kompliziert gebuchten Rückflug noch vier Tage dauern würde, brachen wir trotzdem auf. Endlose Autofahrten, endloses Hineinstarren in diese grandiose Landschaft. Büffelherden und Geysire. Nie ist mir Landschaft trostloser vorgekommen.
    Ich flog zurück nach Schleswig zur Beerdigung. Nach vierunddreißig Stunden und viermal umsteigen war ich wieder in Frankfurt. Mein mittlerer Bruder hatte mich nach Frankfurt zum Flughafen gebracht. Hier hatte ich ihn zum letzten Mal gesehen. Nun war ich wieder da und wartete auf meinen Anschlussflug nach Hamburg. Dort holten mich meine Eltern und mein übrig gebliebener Bruder ab. Bevor sie mich sahen, sah ich sie durch eine große Scheibe hindurch auf einer Bank sitzen. Um sie herum wurde gerannt, Heimkehrer wurden begrüßt und geküsst, doch sie bewegten sich nicht, starrten wie traurige Steine auf den Ausgang. Ich hatte mir diese Heimkehr so anders vorgestellt: als Basketball-Star, durchtrainiert, mit fließendem Englisch und glitzerndem Selbstbewusstsein. Als sie mich sahen, freuten sie sich sehr. Wir umarmten uns alle, standen inmitten der rennenden Menschen und hielten uns aneinander fest.
    Obwohl ich wusste, wie schwer es für meine Eltern ohne mich sein würde, entschloss ich mich, nach Wyoming zurückzufliegen. Nie versuchten sie, mich davon abzuhalten, nur ein einziges Mal fragte mich mein Vater weinend über einen Sessel gebeugt: »Willst du vielleicht nicht doch lieber hier bei uns bleiben?« Aber ich wollte zurück. Unbedingt!
    Nur vierzehn Tage später war ich wieder in Laramie bei meiner kompletten Gastfamilie. In der Highschool wusste niemand von dem Unfall. Außer meiner Gastfamilie hatte niemand Mitleid mit mir. Das tat mir gut. Ich lebte einfach so weiter wie vor dem Unfall. An meinen Bruder dachte ich selten. Eigentlich immer nur nach den Sonntagstelefonaten mit meinen Eltern. Ich weigerte mich einfach zu trauern. In den folgenden Monaten tat ich all

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