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Wanted

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Titel: Wanted Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Outlaws da vorn in diesem Stollen und -«
    Mandoney brach ab, als ein Feuerball den südlichen Horizont erstrahlen ließ wie eine kurz mal an den Haaren hochgezogene Sonne. Sekunden später fegte die dumpfe Schallwelle einer großen Explosion über sie hinweg und ließ die Pferde in den Waggons trampeln und wiehern.
    Mandoney erhob sich, langsam, aber ausdauernd fluchend, zu voller Größe.
    »Abmarsch!«, bellte er, und Sam schwang sich auf die Lok und blies eine Menge Dampf durch die Pfeife.
    Smith wurde es warm.
    »Ihr seid im völlig falschen Bild!«, rief er gegen das Getöse an, das die Schwarzfüße rings um ihn herum mit dem Schlagen von Trommeln, dem Stampfen von Füßen, etwas, das sie wohl für Gesang hielten und, als wäre das alles noch nicht nervtötend genug, auch noch dem Blasen von Trillerpfeifen veranstalteten.
    »Ihr befindet euch im falschen Kulturkreis, ja, streng genommen auf dem verkehrten Kontinent!« Doch hörten sie ihm zu? Am Arsch, wie man so sagt. Die, die nicht stampfend, trillernd und, tja, singend um ihn herumtanzten, putzten, wie es aussah, Gemüse.
    Völlig weggetreten, die meisten von ihnen, ungefähr so aufnahmefähig für ethnologische Betrachtungen wie Fettklumpen für Wasser. Will sagen, Smiths Worte glitten einfach an ihnen ab. Er versuchte es trotzdem.
    »Ja, ihr seid ja noch nicht mal Neger!«, schrie er wütend.
    »Ich würd hier nicht liegen wollen«, sagte sie lahm vom Fenster her, aus dem sie den Rauch ihrer Filterzigarette blies. Wir waren allein. Menden hatten sie weggekarrt, um ihm in den Arsch zu gucken oder sonst wo rein.
    Ich dachte daran, sie kurz an die wenig freiwillige Natur meines Aufenthaltes hier zu erinnern.
    »Nicht mit der Anzahl von Feinden, die du dir in dieser Stadt gemacht hast.«
    Ich dachte daran, die neu gewonnene Zahl von Freunden ins Feld zu führen. Nicht zuletzt die bei der örtlichen GlaserInnung.
    »Und dann noch bei offenem Fenster«, fuhr sie fort mit ihrer Stimme wie über den Boden schleifende Schuhsohlen. »Ich meine, da kann ja theoretisch jeder rein und raus, wie er will.« Schleppend, die Stimme, energiegeladen wie ein halbes Röhrchen Adumbran.
    Ich dachte daran, ihre Aufmerksamkeit auf meine Unterbringung in der ersten Etage zu lenken, was in Theorie wie Praxis den meisten Eindringlingen die Verwendung einer Leiter auferlegen würde. Eine Art des Aufstiegs, die den keine zwanzig Meter entfernt logierenden Pförtner sicher zu dem einen oder anderen Kommentar hinreißen dürfte.
    »Und dann noch so völlig hilflos ans Bett gefesselt ...« Sie schüttelte sich und schnickte ihre Kippe aus dem Fenster.
    Ich dachte daran, sie sanft zu ermahnen, wie wenig charmant es doch ist, jemandem in einer ausweglosen Situation auch noch das Gefahrenpotenzial derselben ins Gedächtnis zu rufen.
    »Ich meine«, sagte sie lahm, »ich in deiner Lage hätte da ganz schön Schiss.«
    Mir war danach, sie darauf hinzuweisen, dass es ihr oblag, an dieser meiner Lage etwas zu ändern. Mein Bild vor den Augen der Öffentlichkeit und der Justiz etwas zurechtzurücken, zum Beispiel. Wie alle meine angedachten Entgegnungen vorher erübrigte sich auch diese aufgrund ihrer schieren Offensichtlichkeit.
    Sie trat ans Bett und sah auf mich herunter. Ich schluckte an einem Gefühl von Pessimismus. Lang, strähnig, mittelgescheitelt, war ihr Haar so mausig wie ihr Teint käsig wie ihr Gebiss, sagen wir mal, britisch. Man denke sich ein magersüchtiges, Nägel kauendes, in dunkles Lila gewandetes und mit hoher Wahrscheinlichkeit lesbisch veranlagtes Mitglied der Addams-Family um die dreißig, mit einer Mimik nur einen Hauch diesseits von komatös, und man kommt dem nahe, was das Land Nordrhein-Westfalen als die perfekte Pflichtverteidigerin für jemanden wie mich hervorgekramt hatte. Unter einem Stein vermutlich. Und sie hieß auch noch Elke Muffler.
    Ich konnte nicht anders, ich musste mir vorstellen, wie sie sich nach dem Feuer speienden Plädoyer einer wie immer, wie in allen meinen Prozessen bisher, vollkommen verbiesterten Staatsanwältin aus ihrer Bank erhob und mit unüberbietbarer Lahmheit nuschelte: »Ja, wenn Sie meinen, dann schließen Sie ihn eben weg.«
    »Gefangenenrebellion, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, versuchter Polizistenmord, Bankraub, Rädelsführerschaft bei gewalttätigen Krawallen, Herbeiführung mehrerer Explosionen mit Sachschäden bisher nicht zu beziffernden, aber definitiv katastrophalen Ausmaßes«, leierte sie herunter,

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