War against people
Schulden nicht nur tilgen, sondern
sogar noch zu einem Überschuß führen. Wären in der westlichen Elitenkultur überhaupt
elementare Moralprinzipien vorstellbar, müßten solche Schlußfolgerungen in den USA und
Europa auch ohne Urteile des Weltgerichtshofs gezogen werden. Aber dieser Tag ist noch
sehr fern. 7
Einem Bericht der OECD zufolge verdoppelten sich die Bankkredite zwischen 1971 und
1973, um sich dann, in den folgenden beiden Jahren, »trotz der gewaltigen Steigerung der 01-
preise zu stabilisieren«, wobei »der dramatischste Anstieg von Kreditvergaben mit der Ex-
plosion der Warenpreise 1972/73 -also vor dem Ölschock einherging«. Ein Beispiel war
die Verdreifachung der Preise für US-amerikanische Weizenexporte. 8 Später nahm die
Kreditvergabe zu, als die Banken von Petrodollars überschwemmt wurden. Der (zeitlich
begrenzte) Anstieg der Ölpreise führte hier und da zur nüchternen Forderung, man solle das
Öl im Mittleren Osten »internationalisieren, nicht zugunsten einiger weniger Ölgesellschaften,
sondern zugunsten der gesamten Menschheit«.9 Dagegen gab es keine Vorschläge zur
Internationalisierung der US-amerikanischen Landwirtschaft, die, aufgrund natürlicher
Vorteile und einer seit vielen Jahren betriebenen, staatlich finanzierten Forschungs- und
Entwicklungspolitik höchst produktiv ist, ganz zu schweigen von den alles andere als
marktgängigen Maßnahmen, die zur Inbesitznahme des Landes führten.
Die Banken waren bei der Kreditvergabe großzügig und beurteilten die Erfolgsaussichten
äußerst positiv. Noch am Vorabend der Katastrophe von 1982, als Mexiko seine Schulden
nicht mehr begleichen konnte, bezeichnete Walter Wriston, Direktor der Citibank und in
Finanzkreisen als »größter Kapital-Recycler« bekannt, Lateinamerika-Kredite als völlig
risikolos, so daß Handelsbanken Dritte-Welt-Anleihen (in Form von Kapitalanlagen) ruhigen
Gewissens verdreifachen könnten. Nach der Katastrophe ließ die Citibank vermelden, man
fühle sich in Brasilien »nicht übermäßig gefährdet«. Dort hatten sich die Bankschulden in den
vorangegangenen vier Jahren verdoppelt, wobei die Citibank mit mehr als 100 Prozent ihres
Kapitals engagiert war. 1986, nach dem Zusammenbruch des internationalen Kreditbooms,
den er angestoßen hatte, schrieb Wriston, daß »die Ereignisse der letzten zwölf Jahre zu der
Vermutung Anlaß geben, daß wir [Bankiers] unseren Job [der Risikoeinschätzung] vernünftig
erledigt haben«; was unbestreitbar ist, wenn wir die Sozialisierung des Risikos durch
Regierungsinterventionen in die Rechnung miteinbeziehen. Diese Interventionen sind von
Wriston und anderen, die für ihre Verachtung der Institution Regierung und ihre Anbetung
des freien Markts berüchtigt sind, natürlich begrüßt worden. 10
Bei der Schuldenkatastrophe (die eine für die Armen war) hatten natürlich auch die
internationalen Finanzinstitutionen ihre Hand im Spiel. In den siebziger Jahren förderte die
Weltbank ganz entschieden die Kreditaufnahme durch arme Länder und verkündete 1978 im
Brustton der Überzeugung: »Die Entwicklungsländer haben kein allgemeines
Rückzahlungsproblem.« 1982, wenige Wochen, bevor Mexiko die Krise lostrat, versicherte
eine von IWF und Weltbank gemeinsam herausgebene Publikation, es gebe noch
»beträchtlichen Spielraum für weitere gestützte Kreditaufnahmen, um die
Produktionskapazitäten zu erhöhen« - wie etwa für die nutzlose Stahlfabrik Sicartsa in Mexiko,
die, gemäß dem Merkantilismus a la Thatcher, von britischen Steuerzahlern finanziert wurde. 11
An diesen Strukturen hat sich bis heute nichts geändert. Mexiko wurde lange Zeit als Tri-
umph des freien Markts und Modell für andere Länder gefeiert, bis seine Wirtschaft im
Dezember 1994 zusammenbrach, was für die meisten Mexikaner, die schon während des
»Triumphs« zu leiden hatten, dramatische Folgen nach sich zog. Mittlerweile erhebt sich
erneutes Jubelgeschrei, während die Löhne seit 1994 (dem ersten Jahr nach Inkrafttreten des
NAFTA-Abkommens) um mehr als 25 Prozent gefallen sind, wobei sich der erste große Absturz
bereits nach den liberalen Reformen zu Beginn der achtziger Jahre ereignete; von 1981 bis
1998 sind die realen Mindestlöhne um mehr als 80 Prozent gefallen. 12 Gerade als die Finanzkrise in Asien ausbrach, schwärmten Untersuchungen von IWF und Weltbank von der
»gesunden makroökonomischen Politik« und dem »beneidenswerten
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