War against people
Mittlerweile stehen die USA, was
sozialstaatliche Leistungen angeht, unter den Industrienationen an letzter Stelle. England gibt
kein sehr viel besseres Bild ab, und auch in anderen OECD-Staaten lassen sich ähnliche,
wenngleich nicht so extreme, Auswirkungen beobachten.
In der Dritten Welt sind die Folgen sehr viel schlimmer. Erhellend ist ein Vergleich der
ostasiatischen Wachstumsregionen mit Lateinamerika. In Ostasien ist die soziale Ungleichheit
am geringsten, während sie in Lateinamerikä am gravierendsten ist. Ähnliches gilt für das
Bildungs- und Gesundheitswesen wie für staatliche Wohlfahrtseinrichtungen insgesamt.
Importe nach Lateinamerika bedienen vorwiegend die Konsumtionsbedürfnisse der reichen
Schichten, während in Ostasien Produktivinvestitionen vorherrschen. In Ostasien wird die
Kapitalflucht kontrolliert, nicht so in Lateinamerika. Hier »weigern sich [die Reichen], Steuern
zu zahlen« und sind von sozialen Verpflichtungen weitgehend ausgenommen. 16 Das ist in Ostasien ganz anders.
Instruktiv für Lateinamerika ist Chile, das einmal als rühmlicher Ausnahmefall galt. Das
unter Pinochets Diktatur begonnene Experiment mit dem freien Markt war zu Beginn der
achtziger Jahre völlig zusammengebrochen. Seitdem hat sich die Wirtschaft durch eine Mixtur
unterschiedlicher Maßnahmen wieder erholt. Dazu gehören staatliche Subventionen (auch
für die im Nationalbesitz befindlichen Kupferminen, die ein bedeutender Einkommensfaktor
sind), die Kontrolle kurzfristiger Kapitalanlagen aus dem Ausland und sozialstaatliche Pro-
gramme.
In den neunziger Jahren erreichte die Liberalisierung der Finanzmärkte schließlich Asien.
Viele sehen darin eine Ursache für die spätere Wirtschaftskrise, die auch durch Marktversagen,
Korruption und Strukturprobleme bedingt war.
Die Schuldenkrise ist ein gesellschaftliches und ideologisches Konstrukt, nicht einfach eine
wirtschaftliche Tatsache. Darüber hinaus dient, wie seit langem bekannt ist, die Liberalisierung
der Kapitalströme als wirksame Waffe gegen soziale Gerechtigkeit und Demokratie. Die
jüngsten politischen Entscheidungen folgen keinen geheimnisvollen »ökonomischen
Gesetzen«, die, so Thatchers unbarmherzige Behauptung, »keine Alternative zulassen«, sondern
liegen im wohlkalkulierten Eigeninteresse der Mächtigen. Schon vor Jahren hat man, um die
schlimmsten Auswirkungen dieser Entscheidungen abzumildern, technische Verfahren
vorgeschlagen, die gleichfalls im Interesse der Mächtigen vom Tisch gewischt wurden. Aber
die Institutionen, die die nationalen und globalen Systeme entwerfen, sind ebensowenig von
der Notwendigkeit entbunden, ihre Legitimität unter Beweis zu stellen, wie ihre
glücklicherweise entmachteten Vorläufer.
Anmerkungen
1 Jeffrey Sachs, FT, 5. Nov. 1998. Zu den Techniken, mittels derer die Banken für ihre
unvorsichtigen Lateinamerika-Kredite, die sie eigentlich hätten ruinieren müssen, im
Endeffekt belohnt wurden, vgl. Karin Lissakers, Banks, Borrowers, andthe Establishment (Ba-
sic Books, 1991), sowie Susan Strange, Mad Money (Univ. of Michigan Press, 1998).
2 Karin Lissakers, Banks, Borrowers; Cheryl Payer, Lent and Lost (Zed, 1993).
3 Der Indonesienexperte Benedict Anderson schätzte das Vermögen der Familie Suharto auf
30 Milliarden $, was nicht weit von dem geplanten »Rettungspaket« des IWF entfernt ist
(London Review of Books, 16. April 1998). Der indonesische Wirtschaftswissenschaftler
Kwik Kian Gie wird zitiert nach Gerry van Klinken, Inside Indonesia, April Juni 1998.
Robison, Leiter des Asienforschungszentrums an der Murdoch-University in Perth, wird zitiert
nach: »Stalinist State«, Far Eastem Economic Review, 16. April 1998.
4 Karin Lissakers, Banks, Borrowers; Payer, Lent and Lost. Zur Steigerung der
Regierungsausgaben unter Reagan vgl. Fred Block, Vampire State (New Press, 1996).
Gegenwärtige Pläne, die (als unbezahlbar erkannten) Schulden für die »Highly Indebted Poor
Countries« (HIPC; hochverschuldete arme Länder) zu streichen, werden davon abhängig
gemacht, daß diese Länder Strukturanpassungsprogramme des IWF akzeptieren, die jetzt unter
dem Namen »Poverty Reduction and Growth Facility« (PRGF; Verringerung von Armut und
Ermöglichung von Wachstum) laufen.
5 Peter Cowhey und Jonathan Aronson, Managing the World Economy (Council on Foreign
Relations, Columbia Umv., 1993).
6 Eric Helleiner, States and the Reemergence of Global Finance (Cornell Univ.
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