War da noch was - Roman
ich mein Spiegelbild kritisch betrachtete. Natürlich alterten Männer auf hübsche Weise, so wie es auch bei ihm der Fall war; aber meine Augen, die ich mit einem Hauch Wimperntusche betont hatte, hatten doch noch immer ihren Glanz, oder etwa nicht? Meine Haut war rein und weitgehend von Falten verschont, oder? Ich würde doch bei der Musterung bestehen, oder? Ich kniff die Lippen zusammen, trug etwas Lipgloss auf und ließ es dabei bewenden. Bitte sehr. Immerhin brauchte ich nicht die ganze Ivan-Maskerade. Ich kannte Hal gut genug, um zu wissen, dass er Make-up nicht schätzte und lieber ernsthafte, ungeschminkte Mädchen mochte, so war es zumindest früher gewesen. Beim Anziehen dachte ich wieder darüber nach, wie Céline wohl war – ich hatte keine Zeit mehr für einen Stadtbummel gehabt, deswegen gab es nur Jeans und ein weißes Trägertop. Rechtsanwältin. Französin. Sie war bestimmt nicht ungeschminkt. Nervös schnappte ich mir meine Jacke, bevor ich nach unten ging, obwohl es eigentlich sehr warm war. Im Gehen erhaschte ich in dem langen Spiegel am Treppenabsatz einen Blick auf mein Spiegelbild. Nun, was ihm heute Abend serviert wurde, war eine alte Freundin in Jeans, Espadrilles und ohne jeden Schnickschnack.
Unten saß er bereits an der Bar, so wie ich es irgendwie erwartet hatte. Er plauderte locker mit Monique, der Chefin. Sein Französisch war natürlich fließend, was mir selbst auch nach all den Jahren noch immer nicht gelungen
war. Aber er lebte schließlich hier. Zumindest hatte er hier ein Haus. Er wandte sich um, als ich zu ihm hinübergeschlendert kam.
»Hallo, Hattie.«
Wie gewandt er von dem Barhocker aufstand, mir einen Arm um die Schultern legte und mich an sich zog, um mich leicht auf die Wange zu küssen. Keine Spur mehr von dem linkischen Hal von früher, der in diesem schrecklichen alten Wollmantel und mit ungewaschenen Haaren über seinem Tisch in der Bibliothek hockte und nicht einmal aufsah, wenn ich meine Bücher neben ihn knallte und ihm mitteilte, dass ich einen Scheißtag gehabt und jetzt noch einen saublöden Essay zu schreiben hätte, sondern mich stattdessen ermahnte, ich sollte leiser sprechen, weil man uns sonst rauswerfen würde. Nein, hier saß er in dieser französischen Bar mit seinem rosa Leinenhemd, einen blauen Kaschmir-Pullover locker um die Schultern geschlungen, und sein gebräuntes Gesicht verzog sich zu einem wunderbaren Lächeln, als er mir einen Drink anbot.
»Oder sollen wir gleich losgehen? Wir könnten auch dort etwas trinken, wenn du magst.«
»Ja, lass uns gehen«, stimmte ich zu, da ich den neugierigen Blicken von Monique entkommen wollte, und plötzlich fühlte ich mich wie diejenige mit dem Wollmantel, während ich hinter ihm hertrottete, und wünschte, ich hätte ein paar High Heels eingepackt.
Sein Wagen war natürlich ein schickes italienisches Cabrio, und als wir so vom Platz fuhren, sehr tief am Boden, hob ich ganz automatisch die Oberschenkel ein wenig vom Sitz, damit sie dünner wirkten. Etwas, das ich, wie mir bewusst wurde, auch bei Dominic in einem sehr ähnlichen Wagen getan hatte.
»Okay?«, brüllte er über den Motorenlärm hinweg. »Oder soll ich das Dach schließen?« Seine Hand fuhr zu einem Knopf am Armaturenbrett.
»Du meinst, um meine Frisur zu schützen?«, rief ich und tätschelte ironisch meine kurzen Locken.
Er lachte und zuckte die Schultern, so als wollte er sagen, dass manche Frauen das eben gerne so hätten, und wieder einmal vermeinte ich, darin Céline zu entdecken.
Er hatte ja keine Ahnung, dachte ich, während ich mich in das Leder zurücksinken ließ, dass ich zu Hause einen ganzen Schrank mit anständigen Klamotten hatte und mich bei Bedarf genauso gut herausputzen konnte wie jede Pariser Anwältin. Die Tatsache, dass jetzt kein Bedarf bestand, war allerdings sehr entspannend. War das immer so in einer Beziehung?, überlegte ich, während mir der Wind durchs Haar fuhr. Der eine bemühte sich, während der andere entspannte? Ich hatte den Eindruck, dass Hal sich bemüht hatte, mich zu finden, und es war kein unangenehmes Gefühl, einmal in die Rolle der Umworbenen schlüpfen zu können. Ja, es ging sogar so weit, dass ich, während wir im Glanz der untergehenden Sonne aus der Stadt hinaus und an goldenen Stoppelfeldern vorbeifuhren, trotzig meine Oberschenkel wieder auf dem Sitz ablegte, wo sie sich genüsslich ausbreiteten.
Gerade hatte ich fragen wollen, wohin wir eigentlich fuhren, als ich stattdessen den
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