War da noch was - Roman
Atem anhielt. Wir waren plötzlich links auf einen Feldweg abgebogen, der so holprig war, dass ich mich am Sitz festklammern musste. Ein alter Mann wackelte auf seinem Fahrrad neben uns her, die Knie im rechten Winkel zu den Rädern. Hal verlangsamte das Tempo.
» Bonsoir Claude – ça va? «
»Ah, oui.« Als er lächelte, legte sich das Gesicht des alten
Mannes wie ein runzliger Apfel in Falten, und wir schlichen neben ihm den mit Schlaglöchern übersäten Weg entlang. » Ça va! «
»Très mal, n’est-ce pas?« Hal deutete auf den Weg.
» Mais non, c’est charmant!« Claude brach in schallendes Lachen aus, musste sogar mit dem Rad stehen bleiben, um keuchend zu Atem zu kommen. Hal lächelte grimmig, während wir weiterholperten, vorbei an Weiden voller kräftiger Charolais-Rinder.
»Ich schwöre bei Gott, dass ich das hier als Nächstes in Angriff nehme«, erklärte er mir. »Ich werde diesen Weg von oben bis unten teeren lassen, wenn es sein muss, ganz wie in Surrey, und mit neuen Eisentoren versehen. Das ist natürlich genau das, was er will.« Er verzog das Gesicht, als der Wagen wieder in eines der Löcher sackte.
Überrascht schaute ich ihn an. »Dieser Weg gehört dir?«
»Mir und Claude. Das dort hinten ist sein Hof.« Er zeigte in die Richtung. »Aber das Letzte, worum Claude Labert sich sorgt, sind die Reifen seines Traktors oder seines Fahrrads, und so bleibt es natürlich an mir hängen.«
»Wir fahren zu dir nach Hause?«
»Ist das okay für dich? Im Moment sind überall so viele Touristen, und ich dachte, das würde dir doch besser gefallen. «
»Oh, absolut!«, erwiderte ich begeistert. Und das stimmte wirklich. Liebend gerne wollte ich die Puzzlestücke von Hals Leben zusammensetzen. Dass wir hierherfuhren, bedeutete natürlich auch, dass Hal es mir zeigen wollte. Ihm musste klar sein, dass ich das wusste, aber es schien ihn nicht zu stören. Ich warf einen Blick zur Seite auf sein Profil, er saß ruhig und ungerührt am Steuer. Nun ja, immerhin wollte er in ein paar Wochen heiraten,
und so konnte er sich doch sicher die Freiheit nehmen, in Célines Abwesenheit so viele alte Freundinnen mit nach Hause zu bringen, wie er nur wollte. Ob mir das an Célines Stelle wohl etwas ausmachen würde? Ganz sicher würde ich total ausrasten, wenn es Ivan wäre, der jemanden einlud. Schon Wochen im Voraus würde ich mir Gedanken und Stress machen und darüber nachgrübeln, um welche Art von alter Freundin es sich wohl handeln mochte. Genauso war es gewesen als ich ihn damals in der Bar gesehen hatte, wie er die Hand auf die jenes Mädchens gelegt hatte. Ich rutschte auf meinem Sitz hin und her. Aber vielleicht waren erfolgreiche Firmenanwältinnen da reifer. Vielleicht luden sie selbst häufig Freunde zu sich ein. Bestimmt mussten sie dauernd Mandanten ausführen – Opernfestspiele, Pferderennen … Und tatsächlich: Gerade nahm Hal sein Handy vom Armaturenbrett, warf einen Blick auf die SMS und lächelte. Was stand da? »Bin mit Jaques B. wieder im La Coupole . Er ist schon bei der zweiten Portion Austern – Merde . Cx« – oder irgendetwas ähnlich Vornehmes und Weltgewandtes? Ich seufzte. Der einzige andere Mann in meinem Leben, mit dem ich mal zum Essen ausging, war Christian, und das war immer nur auf ein Sandwich to go, wenn ich Glück hatte.
Hals Haus lag zu Füßen eines Hügels an einer idyllischen Stelle des Tals. Dahinter stiegen in steilen, geometrischen Linien die Weinberge empor, und davor erstreckte sich eine weite Grasfläche, auf der knorrige alte Olivenbäume ein ungeordnetes, zufälliges Bild ergaben. Das Haus selbst war aus Stein mit einer schlichten Fassade und hohen, schlanken Fenstern, die von gestreiften grauen Fensterläden eingerahmt wurden. Es hatte diese leicht abweisende, arrogante Ausstrahlung, die französische
Häuser oft haben. Es war perfekt, und das sagte ich ihm auch.
»Hal, was ist denn mit dir passiert?«, fragte ich, als ich ausstieg und mich umsah. »Du hast ja plötzlich Geschmack bekommen.«
»Oh, danke!«, lachte er, erleichtert, dass ich Scherze machte. Aber ich hatte schon immer gewusst, wie man am besten mit ihm umging, und so wusste ich auch jetzt instinktiv, wie ich die unverrückbare Tatsache auflockern konnte, dass er mich hierhergebracht hatte. »Du meinst, früher hatte ich das nicht?«
»Nein, nie. Kein bisschen. Deine Klamotten waren das Letzte. Weißt du noch diese Pelzkappe, die aussah wie eine tote Katze?«
»Diese Kappe habe ich
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