War da noch was - Roman
Altmännerblick zu, die Gauloise an der Unterlippe, während aus Ivans Augen ungezügelte Lust sprach, so schien es mir.
»Danke, Sylvie, aber Ivan und ich haben schon vorgesorgt. Wir haben noch ein paar Leckereien im Hotel, die wir vernaschen wollen.«
Ivans Blick, der noch immer in Bewunderung auf den endlos langen Beinen ruhte, wanderte erfreut zu mir herüber. Ich lächelte ihm zu und war froh, dass ich diesen Trumpf in der Hand hatte. Aber während ich meine Sonnenbrille die Nase hinaufschob, meine Beine übereinanderschlug und dabei bemerkte, dass ich rissige Fersen hatte, fragte ich mich ein wenig unbehaglich, wann mir diese Trümpfe wohl ausgehen würden.
19
E ines frühen Morgens ein paar Tage später gaben Ivan und ich uns an einem anderen Ort unserem üblichen Lotterleben hin. Andere Stadt, anderes Hotelzimmer, diesmal in den Esterel-Hügeln, wo wir uns einquartiert hatten, um den letzten Markt der Saison zu besuchen. Ein letztes Aufbäumen sozusagen. Hier im Süden waren die Tage noch immer heiß, doch glücklicherweise verfügte unser Zimmer über eine Dachterrasse, die Ivans Bedürfnis nach Frischluft entgegenkam und die deswegen auch der Schauplatz unserer morgendlichen Aktivitäten war. Von diesem Aussichtspunkt aus hatten wir einen herrlichen Blick über die Hügelkette auf der einen Seite und an klaren Tagen bis zum glitzernden Mittelmeer auf der anderen, obwohl das nicht halb so sehr glitzerte wie die grauen Augen, die sich nun über mich, die ich mich in Rückenlage befand, beugten. Meine eigenen Augen waren trotz meines zunehmend entkleideten Zustands noch immer von der allgegenwärtigen Sonnenbrille bedeckt. In diesem gleißenden Licht blieb sie entschieden an Ort und Stelle, ganz im Stil von Jackie O. oder Posh Spice, je nach Generation – für mich eindeutig Erstere –, und trotz Ivans Bitten, ich möge sie doch abnehmen. In letzter Zeit war es sogar vorgekommen, dass ich nackt mit Sonnenbrille zur Toilette rannte.
»Aber dann kann ich dich ja gar nicht sehen!«, jammerte
er und hielt einen Augenblick inne, um zu versuchen, sie mir von der Nase zu nehmen.
»Umso besser«, murmelte ich, streckte die Hand aus und zog ihn an den Nackenhaaren herab auf meine Lippen.
Den einen Fuß in einem Topf mit Bougainvilleen, den anderen über einem zwölf Meter tiefen Abgrund und hoffentlich nicht im Grab, ich hatte schon bequemere Positionen erlebt. Trotz der Verrenkungen gelang es mir mit blitzartigen Reflexen nach meinem Handy zu greifen, das in der Tasche meiner Jeans neben mir klingelte.
Entsetzt starrte ich auf die Nummer. »Oh Gott – schnell – runter, Ivan«, zischte ich. »Das ist Mr Marshcroft.«
»Wer ist Mr Marshcroft?«, murmelte er und knabberte an meinem Ohrläppchen herum. »Kannst du diesen Topf mit Minze ein Stückchen weiter wegstellen, Hattie? Das steigt mir sonst direkt in die Nase.«
»Seffys Vertrauenslehrer – schnell!«
Da er über achtzehn war – bitte, lieber Gott – und nicht die Vorzüge einer Privatschule genossen hatte, seine prägenden Jahre hatte er in einer Gesamtschule in Soho verbracht, wo seine Eltern eine Konditorei betrieben, konnte das keine große Furcht bei Ivan erzeugen. Mit übermenschlicher Anstrengung trat ich wild um mich, sodass er mit einem Grunzen zumindest ein wenig zur Seite rückte, damit ich wie bei einem Überfallkommando zur Seite rollen und stolpernd aufstehen konnte. Ich schnappte mir ein paar Fetzen Kleidung und schob die Brille auf die Nase, bevor ich ins Schlafzimmer floh.
»Mr Marshcroft!«, keuchte ich. Ich sprang unter die Bettdecke und dankte Gott, dass die Kommunikationstechnik noch nicht ganz das visuelle Stadium erreicht hatte. »Was kann ich für Sie tun?«
Durch die Terrassentür konnte ich sehen, wie Ivan sich
wie ein großer, blonder Löwe lässig erhob. Er reckte die Arme gen Himmel in einer Art Sonnengruß und griff dann nach seiner Jeans. Was für ein Anblick!
»Mrs Carrington, entschuldigen Sie die Störung«, sagte Mr Marshcroft.
»Hattie«, murmelte ich wie üblich.
»Hattie«, fuhr er unsicher fort, »und es gibt auch keinen Grund zur Beunruhigung.« Bei diesen Worten ertönten immer große Alarmglocken in meinem Kopf, und ich setzte mich kerzengerade hin. Himmel, was war jetzt los? Wie viel Alkohol, wie viel Bleichmittel auf seinen Haaren, wie viel Erbrochenes und vor allem, wo? Beim letzten Mal an seiner alten Schule war es grauenvollerweise genau auf dem Kopf seines Vertrauenslehrers gewesen.
»Aber
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