War da noch was - Roman
hör auf, hier Panik zu schieben.«
»Ich schiebe nicht Panik, Ivan.« Ich fuhr mit geballten Fäusten herum. »Ich weiß nur, dass Seffy mich jetzt braucht, das spüre ich hier.« Ich klopfte mir auf die Brust. »Okay?« Ein böser Blick. »Und keine Sorge. Ich werde hier schon für uns beide bezahlen.«
Sein Gesicht spannte sich vor Ärger. Das war ungerechtfertigt, unnötig, und ich wusste, dass ich wild um mich schlug, die Kontrolle verlor, dass ich ihn verletzt hatte. Aber ich hatte bereits die Taue gekappt. Ich entdeckte noch ein paar Teile Unterwäsche unter dem Bett, aber meine Reisetasche war bereits zu und ohnehin überfüllt, und so quetschte ich sie in meine Handtasche. Ich schleppte mein Gepäck zur Tür. Ivan sah mir schweigend zu und bot, wie mir bewusst wurde, nicht einmal an, meine Tasche nach unten zu tragen und sie in den Lastwagen zu laden – nein, er stand daneben, während ich mich allein damit abmühte.
Aufgelöst erreichte ich die Rezeption und betätigte wild die kleine Glocke auf der Theke, während ich zugleich in meiner Tasche nach der Kreditkarte kramte.
Eine makellos frisierte Madame erschien. Sie betrachtete mich mit Interesse, und ich hatte den Eindruck, dass sie unserer Auseinandersetzung oben durch das offene Fenster ihrer Rezeption gelauscht hatte. Beneidenswert schick, mit hochgezogenen Augenbrauen kümmerte sie sich nun um diese gestresste Engländerin – wirre Haare, wirre Augen, wirre Kleidung, die offensichtlich in Eile übergeworfen worden war, mit einem schwarzen Höschen, das sich unter einer weißen Leinenhose abzeichnete – , die zweifellos eben dort oben von ihrem schönen jungen Gigolo abserviert worden war und nun geradewegs zu ihrem Lastwagen nach draußen eilte. Lastwagen! Alors , diese Engländerinnen hatten einfach keinen Stil. Außerdem zog sie eine Spur höchst persönlicher Gegenstände hinter sich her, da der Reißverschluss ihrer überfüllten Reisetasche geplatzt war.
» Madame, Madame …« Sie kam stilvoll hinter mir hergetrippelt in ihrem Bleistiftrock und Pfennigabsätzen und hielt mir benutzte Unterwäsche und ein Deo entgegen, dessen Schutz ich jetzt wirklich brauchen konnte. Ich nahm die Dinge entgegen, schaute nach oben und sah Ivan am Balkongeländer lehnen und mit einer Zigarette in der Hand ruhig die Szene beobachten.
Ich bedankte mich bei Madame , die sicher nichts Dringenderes zu tun hatte, als sich sofort die Hände zu waschen, und kletterte ins Führerhäuschen. Gott sei Dank sprang der Lastwagen gleich an – was nicht immer der Fall war – und Gott sei Dank stand er in der richtigen Richtung, weil eine Dreipunktwende mit diesem Gefährt nicht so einfach war. Aber ich konnte es wenigstens, im Gegensatz zu Maggie, die sich bei einer denkwürdigen Gelegenheit, als sie ohne mich unterwegs gewesen war, in der Dordogne verfahren hatte und einfach weitergefahren
war, bis sie an einen Kreisverkehr kam – nach hundert Kilometern –, der unglücklicherweise nur ein Mini-Kreisel mitten in einer Wohnsiedlung war, sodass sie mit dem Lastwagen schließlich in irgendeinem Wohnzimmer gelandet war.
Ich reihte mich in den geschäftigen Verkehr ein und fuhr die staubige Straße entlang. Puh. Gott sei Dank. Wenigstens war ich jetzt unterwegs. Wenigstens tat ich etwas.
Keine zehn Kilometer außerhalb von Valensole schlug ich mir allerdings schon im übertragenen Sinne mit dem Handballen gegen die Stirn. Irrsinn. Absolut vollkommener Irrsinn. Ivan hatte recht, natürlich hatte er recht. Es gab keinen Grund zur Panik. Ich hätte später mit der Fähre fahren sollen, auf die ich gebucht war, und nicht einfach dort auftauchen und drauf hoffen sollen, mitzukommen. Und natürlich konnte ich ohnehin nichts tun, wenn ich um vier Uhr früh ankam und Seffy fest schlief. Ich sollte hier meine Geschäfte zu Ende bringen und dann morgen fahren. Verdammt. Was war nur in mich gefahren? Nun ja, zum einen hatte ich spontan gehandelt, ein reflexartiger Mutterinstinkt. Und zum anderen … was? Hatte ich darauf gewartet, dass Ivan mir die Schlüssel des Lastwagens wegnahm? Meinen Pass konfiszierte? Mich mit irgendeiner herrischen Geste in die Rolle der kleinen Frau verwies? War es das, was ich wollte? Ich holte tief Luft. Ja, manchmal schon. Eigentlich gar nicht so selten.
Ich fuhr weiter und immer weiter, versuchte mich zu beruhigen. Aber es kam mir vor, als drängten alle Düfte des provenzalischen Herbstes durch das offene Autofenster, um mich zu erschlagen. Eine
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