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War da noch was - Roman

War da noch was - Roman

Titel: War da noch was - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Alliott
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ich. Ich glaube, er war einfach nur noch sehr traurig, Hattie.«
    Es war alles so unglaublich: Hal und Seffy kannten sich gut. Hatten zusammen ihre DNA untersuchen lassen und ausführlich gesprochen. Mein Gott. All das war geschehen, vielleicht direkt vor meiner Nase, während ich einfach so in meiner Welt weitergemacht hatte. Das ganze letzte Jahr war völlig anders, als ich es wahrgenommen hatte. Aber die Worte »sehr traurig« gaben mir den größten Stich. Mein Junge. Der Mensch, den ich am meisten auf der ganzen Welt liebte. Ich dachte an all die Male, an denen ich es ihm fast gesagt hätte, mich dann aber doch nicht getraut hatte. An denen ich vor seinem Bett gekauert und versucht hatte, all meinen Mut zusammenzunehmen, die Hände fest ineinander verschränkt, die Knie zusammengepresst, während er unten vor dem Fernseher saß. Wie ich nach der Kiste in meinem Kleiderschrank gegriffen hatte, um sie mit nach unten zu nehmen und ihm zu zeigen. Dann aber doch wieder einen Deckel auf alles gemacht und gedacht hatte – morgen, ich werde es ihm morgen erzählen. Oder in den nächsten Ferien, wenn er zu Hause ist. Und dann war der Augenblick vorüber. Und die Kiste war wieder an ihren Platz im Schrank zurückgewandert. Aber so albern es war, die Tatsache, dass ich es fast getan hätte, erschien mir doch besser, als wenn ich es gar nicht versucht hätte. So als hätte ich damit eine Art Ehrlichkeits-Test bestanden.
    Es war immer, immer nur die Angst vor seiner Reaktion gewesen, die mich zurückschrecken ließ. Ich hätte seinen Schock und sein Entsetzen darüber, dass ich es ihm nicht früher gesagt hatte, als er jünger war, nicht verkraftet. Hätte nicht ertragen, dass ich in seinen Augen zusammenschrumpfen würde. Aber nun war ich bereits zusammengeschrumpft.
War seit über einem Jahr so ziemlich vertrocknet. Ich erinnerte mich daran, wie ich sein unmögliches Verhalten im letzten Sommer hinterfragt hatte. Erinnerte mich an seine unverschämte und kaltschnäuzige Art: »Wie konntest du dich nur so benehmen, Seffy?« Ich hatte damals alles auf pubertäre Hormonschübe zurückgeführt. An diesem Tag hatte er die Vase durch die Küche geschmissen und das Fenster damit zertrümmert. Ich hatte es auf den Stress geschoben, weil er von der Schule geflogen war. Dabei hatte er damals schon alles gewusst.
    »Ich glaube, insgeheim hat er immer noch gehofft, du würdest ihm alles erzählen. Dass du vielleicht warten wolltest, bis er sechzehn war.«
    Ich griff nach diesem Rettungsanker. Sechzehn. Hätte ich? Nein. Nein, die unschöne Wahrheit war: Ich dachte, ich würde so davonkommen. Ich musste mir zu meiner Schande eingestehen, dass ich es ihm nicht erzählt hätte. Weil ich zu feige war. Ihn zu sehr liebte: nein, anders, seine Liebe zu sehr liebte, die ich, wie mir jetzt klar wurde, schon seit einer ganzen Weile nicht mehr genoss. Er hatte sie mir entzogen. Wie verletzt musste er sein, um das zu tun. Ich kauerte mich auf meinem Hocker zusammen und drückte mir die Handballen gegen die Augen. Es kam mir vor, als hätte eine alte Wunde in meiner Brust wieder angefangen zu bluten.
    »Nachdem ich erst einmal angefangen hatte, diese Lügengeschichten zu erzählen«, flüsterte ich in meine Fäuste hinein, »konnte ich einfach nicht mehr damit aufhören. Alle dachten, er wäre adoptiert. Alle hatten meine Geschichte geglaubt. Es war wie ein Stein, der ins Rollen kommt und an dem dabei mehr und mehr Moos hängen bleibt, bis er schließlich riesengroß ist. Und als ich ein
paar Jahre nach Dominics Tod so weit war, dass ich wirklich dachte, ich könnte es ihm erzählen, da hat Letty die Tagebücher veröffentlicht.«
    »Und du wolltest die Erinnerung an Dominic nicht beschmutzen. «
    Ich schoss nach oben. »Wie hätte ich da plötzlich mit Dominic Forbes unehelichem Kind auftauchen können? Damit die ganze Nation auf uns schaut? Zu einem Zeitpunkt, zu dem sich alle gerade wieder an ihn erinnerten und ganz sentimental dabei wurden. Und wie schlimm wäre das für Seffy gewesen? Dominic war eine bedeutende Figur auf der politischen Bühne gewesen — und wurde noch mehr erhöht, weil die Terroristen ihn in die Luft gesprengt hatten –, er war ein nationaler Held. Ich konnte doch nicht die Sensationspresse auf uns loslassen, auf meinen Sohn. Es wäre ein gefundenes Fressen für sie gewesen.«
    »Ja, genau das habe ich Seffy auch erzählt, habe ihm gesagt, dass du ihn schützen wolltest. Das habe ich ihm erklärt.«
    »Oh, wirklich,

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