War da noch was - Roman
Für einen Augenblick drohte das Ausmaß meiner Tat, die Tragweite meiner Täuschung mich zu überwältigen. Mir wurde schwindelig und ich dachte, dass ich rein körperlich nicht dazu imstande wäre, sie alle so bass erstaunt zu sehen, meine reizenden Nichten, meine lieben, alten Eltern — meinen Vater, der jetzt zu mir kam, um mich zu umarmen. Ich hatte das Gefühl, vor Scham im Boden versinken zu müssen. In dem stinkenden, blubbernden Sumpf zu versinken, der mein wahres Ich ausmachte, während diese Leute schreckensstarr herumstanden und versuchten, den Schock zu verarbeiten.
»Oh, Dad!«, stöhnte ich an seiner Schulter.
»Ich weiß, mein Schatz, was für eine Erleichterung. Unglaublich. Dem Jungen ist nichts passiert.« Er tätschelte
mir die Schulter und ging dann weiter, um Seffy auf den Rücken zu klopfen; aber Hal musste mein Gesicht gesehen haben, meine Not. Er fing meinen Blick auf und sandte mir eine klare Botschaft der Unterstützung: keine Panik.
Und jetzt trommelte Dad zum Abmarsch, er brauchte jetzt etwas zu essen, hätte einen Bärenhunger und wollte alle in den Pub einladen.
»Biba, geh und wasch dir Gesicht und Hände! Du bist von oben bis unten voller Dreck von den Hunden. Seffy, weck deine Großmutter. Sag ihr, dass alles gut ist und dass wir jetzt in den Pub gehen.«
Das Mittagessen hätte laut Plan eigentlich in einem kleinen Forsthaus im Wald stattfinden sollen, wo zwei Frauen aus dem Dorf einen Klapptisch mit Shepherd’s Pie , Karaffen mit Wein und anderen Köstlichkeiten für die Jagdgesellschaft aufgebaut hatten. Aber das hatte Hugh natürlich sofort abgesagt, und so traf Dad jetzt andere Maßnahmen, um alle aufzumuntern und das Gleichgewicht wiederherzustellen.
»Was ist mit Maggie, ist sie noch hier? Sagt ihr Bescheid, sie soll mitkommen.«
»Nein, ich habe gesehen, wie sie gefahren ist«, sagte Biba, die sich gerade am Spülbecken die Hände wusch. »Sie hat mich gebeten, Mummy zu danken. Sie meinte, sie wollte nicht stören. Ich glaube, sie ist mit Kit nach London zurückgefahren.«
»Kit! Unser Mann Gottes. Der, den wir in der Not vielleicht gebraucht hätten, hat uns hier im Stich gelassen?«
»Ich bin sicher, dass er nur nicht stören wollte, Grandpa. «
»Das war nur ein Scherz, meine Süße. Kit wäre sofort hier, wenn wir ihn brauchen, aber er hängt in solchen
Situationen nicht gerne Unheil verkündend in seinem Priestergewand herum. Und das kann ich gut verstehen. Oh, sieh nur – da kommt deine Großmutter.«
Weitere Umarmungen und Ausrufe, als Mum erschien, die ein bisschen faltig und zerzaust aussah, deren Augen aber wieder strahlten.
»Ich bin so froh«, sagte sie immer wieder leise, während sie umarmt wurde. »So froh.«
Biba fand ihre Handtasche für sie, und ein anderer — Seffy – lief noch einmal rasch nach oben, um ihre Schuhe zu holen, die sie in ihrem Zimmer vergessen hatte: »Neben dem Nachttisch, glaube ich, mein Schatz.«
Ich sah ihm hinterher und staunte, wie normal er wirkte. Aber für ihn war ja nicht gerade erst sein ganzes Leben umgekrempelt worden. Nicht so, wie bei mir.
Mum saß am Tisch und holte ihre Puderdose hervor, um sich die Nase zu pudern. Dann trug sie etwas Lippenstift auf und hörte ganz gelassen zu, wie sich alle um sie herum unterhielten, und Dad erzählte, dass Luca schon ein paar Worte geredet hätte, bei Bewusstsein wäre und Hughs Hand gedrückt hätte. Schließlich lächelte sie und stand auf.
»Gut!« Sie ließ das Schloss ihrer Handtasche mit Nachdruck zuschnappen und hängte sie sich über den Arm. »Also ich brauche jetzt erst einmal einen sehr großen Gin Tonic. Können wir los?«
Sie konnten. Alle redeten wild durcheinander, während sie nach draußen zum Auto marschierten. Dad berichtete, dass Laura ihm eine SMS geschrieben hätte. Sie und Daisy würden direkt vom Krankenhaus kommen und sie im Pub treffen. Hugh wollte bei Luca bleiben, und nach dem Essen würde Laura wieder hinfahren, um ihn abzulösen. Alles war arrangiert. Alles organisiert dank
der Wunder der modernen Wissenschaft, sagte er, und ungläubig schwenkte er sein Handy, dessen technische Möglichkeiten ihn immer wieder in Erstaunen zu versetzen vermochten.
»Kommst du, Hattie?«, fragte er.
Ich löste meine Zunge, die an meinem Gaumen klebte. »Ähm, würde es dir etwas ausmachen, wenn ich nicht mitkäme, Dad?«
»Ganz und gar nicht«, sagte er blitzschnell, als er etwas im Ton meiner Stimme erkannte.
»Ich glaube, ich wäre gerne ein Weilchen
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