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War da noch was - Roman

War da noch was - Roman

Titel: War da noch was - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Alliott
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unserer Haltung. Hal lehnte mit überkreuzten Armen an der Anrichte, Seffy stand mit dem Rücken zum Spültisch und sah auf seine Schuhe hinab, ich hockte auf meinem Hocker und starrte auf meine Hände. Wir waren wie drei Figuren in einem Theaterstück, die noch nicht gemerkt hatten, dass der Vorhang am Ende des Aktes gefallen war, und die noch immer dasaßen, wenn er sich für den nächsten Akt wieder hob.
    Schnelle Schritte in dem Raum über uns drangen irgendwie zu mir vor. Sie kamen die hintere Treppe hinunter, durch den Flur, bis die Tür aufflog. Laura stand da mit bleichem, aber strahlendem Gesicht.
    »Es wird alles wieder gut. Der Rückstoß hat ihn bewusstlos gemacht, aber er ist wieder wach und hat keinerlei ernsthafte Kopfverletzungen. Hugh hat eben angerufen, er wird wieder ganz gesund.« Sie schlug die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus.
    Ich brauchte einen Augenblick. Dann stand ich wie betäubt und mir selbst fremd auf und ging durch den Raum, um sie in den Arm zu nehmen. »Gott sei Dank, Laura. Gott sei Dank«, stieß ich mühsam im Flüsterton hervor.
    Auch Seffy umarmte sie, während sie um Fassung rang. Sie schniefte kräftig, legte den Kopf in den Nacken
und blinzelte stark. »Er bekommt eine Infusion und ist natürlich sehr mitgenommen, aber er ist bei Bewusstsein. Er hat wohl wirklich eine riesige Platzwunde auf der Stirn, und sein ganzes Gesicht ist von dem Schrot gesprenkelt, aber anscheinend blutet man am Kopf wohl besonders stark. Mit Ausnahme der Platzwunde ist alles andere nur oberflächlich.« Sie schnäuzte sich heftig. »Hugh sagt, dass es viel, viel schlimmer aussähe, als es ist.« Sie nickte bekräftigend und steckte das Taschentuch zurück in den Ärmel.
    »Da bin ich aber froh, Laura.« Hal kam durch die Küche zu uns herüber und drückte ihre Schulter.
    »Er sagt, er müsse natürlich noch ein bisschen dableiben, zur Überwachung, aber höchstwahrscheinlich ist er in ein paar Tagen wieder draußen. Er ist nicht einmal mehr auf der Intensivstation. Ich fahre jetzt ins Krankenhaus. Daisy will auch mitkommen. Wo sind denn die anderen? Ich muss es ihnen sagen.«
    »Sie sind mit den Hunden am Zwinger. Mum ist hochgegangen und hat sich hingelegt.« Meine Stimme kam von irgendwoher.
    »Ich gehe hin und sage ihnen Bescheid. Erzählst du es Mum, wenn sie aufwacht?«
    »Natürlich.«
    Und schon war sie davon, den Flur hinunter und nach draußen zum Zwinger. Luca. Ihn hatte ich ganz vergessen. Ich hörte, wie Daisy die Treppe hinuntertrampelte und dann durch den Flur nach draußen zu den Autos lief.
    »Mum!«, rief sie und rannte über den Kies. »Komm jetzt.«
    Eine Tür wurde zugeschlagen, als sie voller Ungeduld in den Wagen ihrer Mutter sprang.

    Gott sei Dank. Ein junges Mädchen, das nicht bis ans Ende ihrer Tage ein schlechtes Gewissen haben musste. Ein junges Mädchen, dessen Leben nicht zum Stillstand kommen musste, während sie sich damit herumquälte, was sie vielleicht oder vielleicht auch nicht unbewusst ihrem Halbbruder angetan hatte. Diese Art von Qual wollte niemand für immer und ewig mit sich herumschleppen müssen, und obwohl ich völlig fertig war, spürte ich, wie mein eigenes Bleigewicht, das ich hinter mir her schleifte, ein ganz klein wenig leichter wurde. Dass Seffy nun alles wusste, war erschreckend, aber nicht so erschreckend, wie es gewesen wäre, wenn er erst zehn oder elf Jahre alt gewesen wäre, oder? All sein kindliches Vertrauen wäre zerstört worden. Mit fünfzehn konnte er es schon ein wenig verstehen, dachte ich. Ich richtete mich leicht auf. Und wenn ich es recht bedachte, hätte ich es ihm früher oder später wohl doch erzählt. Unsinn. Ich hielt den Atem an, weil ich merkte, dass ich selbst in der Privatsphäre meines eigenen Kopfes nicht völlig ehrlich sein konnte.
    Ich holte zu einem tiefen Seufzer Luft und ließ ihn zitternd heraus. Von einer ganz egoistischen Sichtweise her war ich froh, dass er wenigstens schon ein Jahr gehabt hatte, mit all dem fertigzuwerden. Wenigstens war es nicht mehr frisch und pulsierend. Aber es war ein Jahr gewesen, in dem ich nicht da war, um ihm zu helfen, durchfuhr es mich. Er war ganz allein gewesen, außer … nein, er hatte ja Hal gehabt. Während wir Lauras Wagen mit hoher Geschwindigkeit davonfahren hörten, dankte ich Hal im Stillen und von ganzem Herzen. Sobald er erst einmal den eigenen Schock überwunden hatte, dass Seffy das Kind seines Bruders war, hatte er nur noch gut von mir gesprochen, das

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