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War da noch was - Roman

War da noch was - Roman

Titel: War da noch was - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Alliott
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er, als könnte er meine Gedanken lesen. »Ein Priester, der sich nirgendwo hineinziehen
lässt. Vater, ich habe gesündigt. Ich habe … Nein, nein, mein Sohn, tut mir leid, mit Gefühlen will ich nichts zu tun haben. Ich kann dir keinen Rat geben.« Er lächelte wehmütig. »Wenigstens bin ich nicht katholisch und muss nicht wirklich die Beichte abnehmen. St. Augustin wäre nicht angetan von mir.«
    Er trank das Wasser in einem Zug aus. Dann stellte er das leere Glas auf die Abtropffläche und starrte es düster an.
    »Aber du hörst dir doch die Sorgen deiner Gemeindemitglieder an«, sagte ich leise. »Das weiß ich. Du bist ihnen eine große Stütze.«
    »Bin ich das?« Er zuckte mit den Schultern. »Da wäre ich mir nicht so sicher. Ja, klar, ich höre ihnen zu, aber ein Großteil von mir zieht sich dabei ganz weit zurück. Das war schon immer so.«
    »Ich weiß.« Aus Selbstschutz. »Das geht mir genauso, Kit.«
    »Nein, du bist anders«, sagte er sanft. Er wandte mir den Rücken zu und sah aus dem Fenster. »Du empfindest alles sehr stark. Du kannst es anderen gegenüber nur nicht zeigen. Kannst ihnen nicht sagen, was du fühlst. Ich fühle es nicht einmal.«
    »Was fühlst du nicht?« Ich konnte mich nicht erinnern, je ein so tief gehendes Gespräch mit meinem Bruder geführt zu haben.
    Er zuckte mit den Schultern. »Liebe? Du weißt schon. All das, was alle anderen fühlen. Ich bin sozusagen emotional behindert.« Er machte Anführungszeichen in die Luft und lächelte schief. »Aber hey, kein Grund zur Trauer, oder? Es gibt doch viele, die nicht über alle Fähigkeiten verfügen. Sieh dir Luca an, den armen Kerl, hat nur einen richtigen Arm. Oder Sheba.« Er nickte zu der Katze hinüber,
die auf der Fensterbank döste. »Stocktaub. Es ist nur eine geringfügige Einschränkung, die ich da habe.«
    »Und was ist mit Gott?«
    Er runzelte die Stirn. »Du meinst, ob ich ihn liebe?«
    »Ja.«
    Nachdenklich schürzte er die Lippen. »Ja.«
    »Na siehst du. Da bist du doch zu allem fähig.«
    Er lächelte. »Ja, hier stehe ich und kann nicht anders. Obwohl Er es vielleicht gerne sähe, wenn ich auch andere lieben würde, glaubst du nicht auch?«
    »Nicht, wenn du es erzwingen oder heucheln musst. Du bist dir selbst treu.«
    Jetzt sah er mich richtig an. »Bei dir klingt es, als wäre es etwas sehr Edles, Hatts, aber eigentlich hat es mehr mit Angst zu tun. Es ist für mich eine Art, mich zu schützen. Ich weiß, dass es mich aus dem seelischen Gleichgewicht bringen könnte und dass ich nicht widerstandsfähig genug bin. Ich weiß, dass ich nicht viel zuzusetzen habe. Deswegen gehe ich sparsam damit um.«
    Es folgte Schweigen.
    »Kit, darf ich fragen … also, was hat dich dazu gebracht, so zu denken?«
    Er hob die Augenbrauen und schien damit zu implizieren – musst du da noch fragen? Da wusste ich sofort: Sarajevo. Worüber wir nie gesprochen hatten. Aber ich wusste, dass er damals, in den wenigen Monaten in der eingeschlossenen Stadt, schreckliche Grausamkeiten miterlebt hatte. Wie im Zeitraffer rasten Bruchstücke von Dingen, von denen ich gehört hatte, durch meinen Kopf: das Massaker am Markale-Platz, wo Kit, wie ich wusste, mit Freunden gewesen war, von denen einige getötet worden waren, während sie für Trinkwasser angestanden hatten; der alte Mann, bei dem er gewohnt hatte,
Lyjodo, ein Moslem, der vor seinen Augen zu Tode geprügelt worden war; die Vergewaltigungslager, über die keiner sprach; die Zehntausende, die in einer einzigen Stadt getötet wurden, die meisten von ihnen Zivilisten. Zehntausende schrie es mir entgegen, als die letzten Bilder an mir vorüberrauschten: dann Stille. Dunkelheit. In der Stille wurde in meinem Inneren ein kleines Licht angezündet. Ich wartete, bis die Flamme sich stabilisiert hatte und holte dann tief Luft. Nahm all meine Kraft zusammen.
    »Kit, ich weiß, dass du es nicht so mit Gefühlen und Emotionen hast und dich vor all dem abschottest, aber ich glaube, dass du der einzige Mensch bist, der mir jetzt weiterhelfen kann. Der Mensch, dem ich es erzählen sollte – erzählen muss – bevor ich mit den anderen spreche. Und ich will, dass du ehrlich zu mir bist. Sag mir, was du – oder Gott, wenn du willst – darüber denkst. Ob ich für immer in die Hölle verdammt bin.« Ich schluckte. »Es geht um Seffy.«
    Er sah mir in die Augen. »Ich weiß das mit Seffy.«
    Ich starrte ihn ungläubig an. »Du weißt das mit Seffy?«
    »Ja.«
    »Dass er mein Kind

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