War da noch was - Roman
wusste ich. Er hatte dafür gesorgt,
dass ich nicht allzu schlecht davonkam, und Seffy gedrängt, auch meine Perspektive zu sehen, auch wenn er selbst sie nicht ganz begreifen konnte. Weil er mich liebte. Das spürte ich, und es tröstete mich. Er hatte so etwas gesagt wie: Seffy, sie war jung und sie hatte Angst. Sie ist aus Dubrovnik nach Hause gekommen mit dieser sauber verschnürten Lüge — zu welchem Zeitpunkt hätte sie das Päckchen öffnen und sagen können, halt, das ist Dominics Kind, ich will den Zirkus nicht länger mitmachen? Ist es nicht so, dass wir nach dem ersten, fatalen Schritt in die Fiktion, in die Welt der Einbildung, immer weitergesogen werden, bis wir es fast schon selbst glauben?
Noch eine Lüge. Ich hatte keinen einzigen Augenblick lang das Gefühl gehabt, dass Seffy irgendetwas anderes war als mein Kind. Mein eigener Sohn. Und es war eine Qual gewesen, ihn in der Öffentlichkeit verleugnen zu müssen. Als ich ihn, er war damals acht, einmal von der Schule abholte, und er aufgeregt erzählt hatte: »Miss Taylor hat heute in der Schulversammlung über Adoption gesprochen, nur wegen mir, weil ich etwas Besonderes bin, weil ich ausgesucht wurde.« Damals wäre ich fast ohnmächtig geworden. Die Lüge war mir entglitten, war außer Kontrolle geraten, war jenseits von Familie und Freunden angekommen. Es lag in Seffys Händen, nicht in meinen. Ich hatte ihm sträflich etwas Falsches erzählt, und er verbreitete es weiter. Das hätte der richtige Moment sein können, den ich ergreifen und in dem ich ihm die Wahrheit hätte sagen müssen. Dann mit der Lehrerin reden und die Lüge ausmerzen. Aber ich war ausgewichen. Seine vertrauensvolle Hand in meiner, während wir nach Hause gingen, in der anderen ein noch feuchtes Gemälde und Seffy, der munter drauflosplapperte, dass
alle seine Freunde wissen wollten, wo Kroatien wäre. Der Kloß in meinem Hals war eine unverrückbare Blockade gewesen.
Seine Freunde. Es waren inzwischen andere, natürlich, an einer anderen Schule. Will, Tom, Ben – denen Seffy es würde erzählen müssen. Würde er? Wie? Mit einer Anzeige in der Schülerzeitung? Seffy Carrington doch nicht adoptiert. Ich stellte mir die überraschten Gesichter seiner Freunde vor. Die Fragen: »Und warum hat deine Mutter …?« – »Weil mein Vater berühmt war. Und verheiratet. « — »Ach so, verstehe.« Aber sie verstanden gar nichts, sondern dachten: Gott, du armer Kerl. Mitleid. Was sich ein fünfzehnjähriger Junge ungefähr so sehr wünscht wie Rüschenunterhosen. War es wirklich einfacher, jetzt, wo er älter war, Hattie? Leichter als mit neun oder zehn? Wohl kaum.
Ich dachte daran, wie Hal wohl versucht hatte, Seffy zu beschwichtigen, rational, vernünftig. Mir wurde klar, wie viel er eigentlich über mich wusste. Und bereits gewusst hatte, als wir in Seillans in seinem Haus in Frankreich zusammengegessen hatten. Er hatte sich schon seit einem Jahr mit Seffy getroffen. Falls ich mir für einen kurzen Augenblick wie die Betrogene vorkam, so ging er rasch vorüber. Denn zum einen hatte ich es verdient, im Dunkeln gelassen zu werden, und zum anderen war es in erster Linie Hal zu verdanken, wenn ich Seffys Liebe wiedererlangen konnte. Und ich durfte gar nichts erwarten. Durfte keine Erlösung erwarten. Das Gesicht meines Sohnes war jetzt eine undurchdringliche jugendliche Maske, aber als Biba durch die Hintertür hereingestürmt kam, setzte er eine passende Miene auf.
»Habt ihr gehört? Er wird wieder gesund! Offenbar hat es total geblutet, aber er wird wieder ganz gesund!«
Ich umarmte sie, als sie mir entgegengeflogen kam. Dad folgte ihr und rieb sich die Hände.
»Gott sei Dank!«, sagte er froh. »Was für eine Erleichterung! «
»Ich bin so froh für Daisy«, flüsterte Biba mir ins Ohr. »Ich meine, ich freue mich natürlich für Luca, dass er nicht schlimm verletzt ist, aber Hattie, kannst du dir vorstellen, wenn …?«
»Ich weiß«, sagte ich rasch, während ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Ich weiß, Biba, aber er ist es nicht.«
»Nein«, sagte sie schnell. Und dann wandte sie sich um und hielt die Arme auf für Seffy. So ein großes Herz und immer bereit, es zu zeigen.
Ich sah, wie Seffy in ihre Haare hineinlächelte, während er sie umarmte. Ich machte keine Anstalten, seinen Blick aufzufangen und ebenfalls zu lächeln, so gerne ich das auch getan hätte, aber mir wurde klar, dass auch Biba es erfahren musste. Und Daisy und Laura und Hugh und Mum und Dad.
Weitere Kostenlose Bücher