War da noch was - Roman
musste er sich die Brille auf der Nase zurechtrücken.
Einmal, nach einem besonders anstrengenden Seminar, das sich mehr und mehr in eine Diskussion über die von uns angestrebten Laufbahnen verwandelt hatte und aus dem ich wutschnaubend herauskam, war ich besonders dankbar für den Plastikbecher, den er mir reichte. Alle schienen bereits eine vage Vorstellung von dem zu haben, was sie als Nächstes tun wollten, und manche strotzten dabei nur so vor Selbstvertrauen. Unsere andere Mitbewohnerin, Kirsten, eine schmalgesichtige, ehrgeizige Schottin mit verdammt wenig joie de vivre, hatte sogar schon an einer Veranstaltung teilgenommen, die als milk round bekannt war. Dabei klapperten potentielle Arbeitgeber die Unis ab und sammelten sich ihre zukünftigen Arbeitstiere zusammen. Kirsten war jetzt darauf gepeilt, für den Rest ihres Lebens für Unilever zu arbeiten. Ich war wie vom Donner gerührt, als sie diese Bombe mitten im Seminar hochgehen ließ.
»Aber woher willst du wissen, ob es dir gefällt?«, hatte ich sie gefragt. »Zahnpasta und Shampoo zu verkaufen – woher weißt du, dass du dich dafür begeistern kannst?«
»Warum muss ich mich dafür begeistern können?«
»Na ja, warum solltest du es sonst tun?«
Unser Tutor hatte sich lächelnd zurückgelehnt und zugehört.
Kirstens Blick, den sie, wie mir schien, schon jetzt gegen eine stumpfe Firmenmaske ausgetauscht hatte, begegnete dem meinen kühl.
»Ich tue es, weil ich dafür gutes Geld bekomme und es eines der besten Trainee-Programme für Marketing ist, die es momentan gibt«, sagte sie mit ihrem schottischen
Akzent. »Und da kannst du weit schneller im Management landen als bei den meisten anderen Unternehmen. «
Die unermesslichen Weiten meiner Unwissenheit breiteten sich vor mir aus. Trainee-Programme, Management … ich wusste noch nicht einmal, wer so etwas anbot. Das Ganze schien meilenweit von Diskussionen über die pastoralen Motive in George Eliots Die Mühle am Floss entfernt zu sein. Außerdem kam es mir so vor, als hätte man uns vier Jahre lang darin bestärkt, mit Idealismus an unsere Arbeit heranzugehen und ansonsten das Leben zu genießen, und nun erwartete man quasi über Nacht, dass wir uns in strebsame, machthungrige Managertypen verwandelten. Und es war typisch für Kirsten, die ungeheuer organisiert und ordentlich war – einer der Gründe, warum Hal und ich mit ihr zusammenwohnten, war der, dass sie einen besonderen Vorzug hatte, wenn es um die Anmietung guten Wohnraums ging – sie war anderen immer einen Schritt voraus.
Genau wie meine Freunde, von denen viele aus besserem Hause kamen, hatte ich mich noch um gar nichts gekümmert, obwohl ich mich im Gegensatz zu ihnen keineswegs auf einen gut gefüllten elterlichen Geldbeutel verlassen konnte. Aber wir waren so lässig, gleichgültig und cool. So cool, dass wir den Berufseinstieg komplett verpennten.
»Ich habe keine Ahnung«, hatte ich Hal danach in der Cafeteria vorgejault, während wir mit unseren Bechern kleckernd einen Tisch ansteuerten. »Alle anderen wissen anscheinend schon ganz genau, was sie machen wollen und wo sie hingehen, und ich habe noch nicht mal angefangen darüber nachzudenken.«
Ich war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, mich
zu amüsieren, auf Partys zu gehen, mir die Haare in ungewöhnlichen Farbtönen zu färben, Glitzerstrumpfhosen zu tragen, zu rauchen, Jungs zu treffen – so viele Jungs, aber nie den Richtigen. Beim Anblick von Hal in der Cafeteria dachte ich, wie schade es war, dass er so unglaublich dünn und farblos war, und warum ging er immer so gebeugt? Wenn man groß war, dann sollte man das auch zeigen, Himmel noch mal. Und dass er sich immer so nervig räusperte, bevor er etwas sagte. Laura hatte recht – sie war auf einen Sprung in Edinburgh gewesen, zu einem Fotoshooting für Harper’s , bei dem sie sich ganz in Givenchy gekleidet für Glenda Bailey an den Mauern des Edinburgh Castle räkelte –, Hal war ganz süß, aber irgendwie schmierig. Er konnte es nicht mit den Rugby spielenden Helden aufnehmen, auf die ich ein Auge geworfen hatte.
»Und was denkst du denn, was du machen willst?«, fragte Hal.
»Ich weiß es nicht, das ist es ja! Irgendwas Künstlerisches oder so, aber ich bin nicht kreativ genug. Und ich mag alte Sachen«, sagte ich vage und starrte dumpf vor mich hin. »Du weißt schon, Porzellan, Glas, so was. Meistens französisches Zeug.«
»Wie der ganze Müll in deinem Zimmer.« Damit bezog er sich auf mein
Weitere Kostenlose Bücher