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War da noch was - Roman

War da noch was - Roman

Titel: War da noch was - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Alliott
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auf der Treppe stehen bleiben, um die Balance wiederzugewinnen. Dann unterdrückte ich ein Schluchzen und stolperte weiter.
    Vor dem Kreißsaal erfuhr ich dann die schlimme Nachricht. Ibby war an ihren Wunden gestorben, als die Wehen einsetzten. Und das Kind? Das Kind war mit einem Kaiserschnitt geholt worden. Das Baby war schwach, aber es lebte.

    Ich kann mich kaum an das erinnern, was dann geschah, aber ich erinnere mich an die Verwirrung. Der Boden schien unter mir wegzukippen, und während ich nach hinten rutschte, spürte ich, wie die Blicke der Leute, die dort aufgereiht auf dem Fußboden saßen, plötzlich über mich stiegen, sodass sie nun von oben auf mich herabsahen. Ich kann mir vorstellen, dass man mich irgendwohin brachte. Ich weiß nicht wohin. Ich weiß auch nicht, wie lange ich bewusstlos war, aber als ich wieder zu mir kam, beugte sich jemand über mich, der gleiche Arzt, der mir die Nachricht von Ibby überbracht hatte: ein sehr junger Mann in einem blutverschmierten weißen Kittel.
    »Ist es ein Junge oder ein Mädchen?«, fragte ich.
    »Ein Junge.«
    »Und, geht es ihm gut? Wird er überleben?«
    »Ja, das wird er.«
    Der Arzt setzte sich einen Augenblick neben mich, aber schon waren Rufe auf dem Gang draußen zu hören. Die Tür flog auf. Eine Schwester sprach schnell, offenbar gab es ein Problem. Der Arzt eilte aus dem Zimmer. Ich wandte mich an die Frau im Bett neben mir: Eine Schule war bombardiert worden, soweit ich verstand, ganz in der Nähe, die Verletzten wurde gerade hierhergebracht. Kindergartenkinder. Noch mehr Grauen, mehr Chaos und Verwirrung. Ich wollte einfach nur, dass das alles aufhörte. Einfach aufhörte. Ich schloss die Augen.
    Einige Zeit später verließ ich das Krankenhaus, stolperte wie betäubt den Flur entlang, die Treppe hinunter und nach draußen. Ich rechnete nicht damit, dass Pablo noch da sein würde und das war er auch nicht, aber er hatte einen anderen jungen Fahrer hergeschickt, der nervös den Motor aufheulen ließ, als er mich sah. Ein Blick in mein Gesicht verriet ihm, dass ich schreckliche Neuigkeiten
erfahren hatte, aber er fragte nicht mehr als unbedingt notwendig. Das tat damals keiner. Schweigend fuhr er mich nach Heronisque zurück, obwohl ich ihn einmal bitten musste, den Wagen anzuhalten, weil ich mich am Straßenrand übergeben musste.
    Der Schock verschlug mir zwei Tage lang die Sprache. Während dieser Zeit blieb ich im Haus der Mastlovas und ging allen aus dem Weg. Ich hatte meinen Fahrer gebeten, den anderen mitzuteilen, dass ich zurückkommen würde, sobald ich wieder in der Lage war. Das war nicht unüblich, wir alle brauchten das von Zeit zu Zeit. Ich saß in dem einsamen Haus, das sich nun kalt anfühlte, in dem hohen, hölzernen Lehnstuhl der Großmutter neben dem Feuer, das anzuzünden ich nicht die Kraft hatte, die Hunde zu meinen Füßen, und fühlte mich taub und leer. Von der Wand gegenüber starrte mich der Priester, Ibbys Großonkel, an. Es kam mir vor, als würden mich seine Augen überallhin verfolgen.
    Zwei Tage später kam Brett, der auf einem längeren Transport, quer über den Balkan nach Masticstan gewesen war, zu dem Haus. Er war gewandter als andere und brachte mich zum Reden, und nachdem ich erst einmal angefangen hatte, konnte ich gar nicht mehr aufhören, ebenso wenig wie ich aufhören konnte, zu weinen. Die Familie, bei der Brett wohnte, hatte ein Auto, einen zerbeulten alten Peugeot, und als ich mich genügend erholt hatte, fuhren Brett und ich zurück zum Krankenhaus.
    Das Baby hatte man in ein Waisenhaus gebracht, wie uns von einer Krankenschwester gesagt wurde. Das gehörte zu einem Kloster und befand sich momentan in einer zerbombten Burg am Stadtrand. Brett kannte es. Es wurde von Nonnen geführt, streng katholisch, und war, was man so hörte, das beste unter den vielen, die es in
der Stadt gab. Zumindest das am wenigsten schlechte. Ich bat ihn, mich dorthin zu bringen.
    Es befand sich in einer gottverlassenen Einöde am Stadtrand, seine grauen Zinnen ragten aus einem Meer von Ziegelsteinen und Schutt hervor. Wir schlugen an die riesige Metall beschlagene Tür, bis sie schließlich geöffnet wurde. Eine junge Nonne im blauen Habit und gestärkter Haube stand da mit versteinertem Gesicht. Ich erklärte ihr unser Anliegen. Ein Baby, ein kleiner Junge, war hierhergebracht worden, ein weiteres Opfer der Gräueltaten, seine Mutter, Vater, Schwestern, Großeltern alle tot. Konnten wir ihn sehen? Solche Geschichten waren

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