War da noch was - Roman
meinem Schlafzimmer. An diesem Abend aßen wir köstlichen luftgetrockneten Schinken, von dem das goldgelbe Fett troff, und der offenbar für diese Gelegenheit aufbewahrt worden war, wir tranken tiefdunklen Wein, stippten einen sahnigen Weichkäse mit grobem Brot auf und waren fröhlich. Mitten im Grauen des Krieges, wie verstreuter Mondstaub, besondere Augenblicke.
Alam sprach ein klein wenig gebrochenes Englisch und ich erfuhr, dass meine Gastfamilie Flüchtlinge waren. Sie kamen nicht hier aus der Gegend, nicht aus diesem Ort, und nun begriff ich auch ein paar Dinge. Wie beispielsweise die Tatsache, dass sie immer für sich blieben und niemanden zu kennen schienen. Sie waren vor zwei Jahren aus ihrer Heimat im Kosovo vertrieben worden, nachdem die gesamte nähere Verwandtschaft, Onkel, Cousins,
getötet worden waren. Sie schienen dies mit Gleichmut anzunehmen und empfanden sich als welche, die einfach Glück gehabt hatten. Erst später erfuhr ich, dass sie bei ihrer Ankunft hier ihren Namen geändert hatten, von irgendwas zu Mastlova, einem Namen, der hier üblich war. Um ihren Beitrag zu den Kriegsanstrengungen zu leisten, hatten sie mich bei sich aufgenommen, als wäre es nicht genug, dass Alam viele, viele Wochen lang in den Bergen gekämpft hatte. Aber Angst war ein starker Beweggrund, der hinter vielen Entscheidungen dieser Tage stand.
Unser Fest zog sich bis tief in die Nacht, und am folgenden Morgen war Mona spät dran für die Schule. Ich sah ihr hinterher, wie sie die Straße hinunterrannte und dabei hüpfte, was ich noch nie bei ihr gesehen hatte.
» Tata se vratio s planine!« , rief sie einer Freundin zu, die an der Ecke stand und ein bisschen sauer war, dass Mona sie hatte warten lassen. »Papa ist zurück aus den Bergen!« Ein Freudenschrei ertönte aus dem Mund ihrer Freundin, eine Umarmung, ein Tänzchen auf der staubigen Straße: das menschliche Gesicht des Krieges.
Meine eigene Familie war aufgrund meiner Wohnsituation beruhigt. In meinen Briefen gelang es mir, darüber hinwegzugehen, dass ich nachts halbblind mit einem Lastwagen durch die Berge eierte, stattdessen versorgte ich sie mit Bruchstücken des Familienalltags. Mum schickte sogar eine Puppe für Mona und Wäsche für das Baby, das bald kommen würde. Die Großmutter bestaunte sie erfreut. Ich berichtete ihnen, dass Kit ganz in der Nähe in einem anderen Warenlager arbeitete, zusammen mit einem Militärpfarrer, was tatsächlich stimmte. Hingegen erwähnte ich nicht, dass er sich in Sarajevo befand, was inzwischen von den Serben belagert und von der Außenwelt
abgeschnitten war. Das bedeutete, dass er dort so gut wie eingesperrt war.
Ich war davon ausgegangen, dass meine Gastfamilie freundlich, aber einfach verängstigt war, doch nach Alams Rückkehr veränderte sich unser Verhältnis grundlegend. Sie luden mich zu ihren Mahlzeiten ein, was eine willkommene Abwechslung zu den Bohnen aus der Dose auf dem Boden des Lagerhauses war, und oft half ich Ibby beim Kochen. Ibby war nur ein paar Jahre älter als ich und an den meisten Abenden, bevor ich zu einem Transport aufbrach, saßen wir zusammen auf dem Hof, die Hunde zu unseren Füßen, und ich brachte ihr ein wenig Englisch bei. Im Gegenzug brachte sie mir ein paar Brocken Kroatisch bei, lachte über meinen Akzent und bruchstückhaft mit viel Zeichensprache erzählte sie mir von ihrem Leben vor dem Krieg als Lehrerin im Kosovo. Als sie von dort geflohen waren, hatte man sie hier in Heronisque nur aufgenommen, weil sie katholisch waren – Kroatien war ein streng katholisches Land – und weil Ibbys Großonkel, der schon gestorben war, Pfarrer gewesen war. Ein paar Notare in der Stadt hatten von ihm gehört und erinnerten sich an seinen Namen. Das war ihre Rettung gewesen. Bilder von ihm in seinen Messgewändern, mit langen grauen Haaren hingen überall im Haus, wie ich feststellte, unter Kruzifixen, über denen Schnüre mit Rosenkranz-Perlen baumelten, und es war sein Name, den die Familie angenommen hatte.
Wir saßen in der Abendsonne und sahen Mona zu, die mit den Hühnern herumtollte, während die Männer irgendein Brettspiel spielten. Schach, glaube ich, nicht Backgammon, jeder ein Gläschen mit einem kräftigen Schluck vor sich, die Großmutter schlief aufrecht in ihrem hölzernen Sessel. Irgendwann stand Ibby dann auf,
legte sich eine Hand auf den dicken Bauch und die andere ins Kreuz, und zusammen gingen wir nach drinnen, um das Abendessen zu kochen.
Und dann kam ich eines
Weitere Kostenlose Bücher