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War da noch was - Roman

War da noch was - Roman

Titel: War da noch was - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Alliott
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inzwischen nicht mehr versuchten, mir in die Waden zu beißen.
    Dann, als ich bereits seit drei Monaten dort war, breitete sich Ruhr in unserer kleinen Gemeinschaft aus. Gabi, das deutsche Mädchen, erwischte es als erste, dann Brett und dann noch ein paar andere Jungs. Sie würden sich erholen, wurde mir von den anderen versichert, solche Infektionen traten von Zeit zu Zeit auf, gehörten dazu, aber das bedeutete, dass wir zu wenige Fahrer hatten. Ich war ein, zwei Mal mit dem Konvoi unterwegs gewesen, allerdings nur als Späher. Jetzt saß ich zum ersten Mal selbst am Steuer mit einem neuen, noch sehr jungen Italiener neben mir. Zunächst fuhr ich nur in die nahe gelegenen Dörfer, aber dann, vermutlich nachdem sie gesehen hatten, dass ich den Pritschenwagen unversehrt wieder zurückbringen konnte, fuhr ich auch weiter hinein in die Berge. Immer bei Nacht, fast immer im Konvoi, immer ohne Scheinwerfer. Manchmal blieben die Scheinwerfer während der gesamten Fahrstrecke aus, was bei dem Zustand der Straßen bedeutete, dass es bei unserer Rückkehr bereits dämmerte. Ich hielt das Lenkrad umklammert, Pablo an meiner Seite und ich hielten die Blicke fest auf die Straße gerichtet, auf der Suche nach Geröllbrocken, die uns die Vorderräder beschädigen konnten, und auch nach Straßenräuberbanden, die sich am Straßenrand versteckten und mit Kalaschnikows den Lastwagen kaperten, während die Insassen einem ungewissen Schicksal entgegensahen. Jedes Mal, wenn ich diese tückischen, staubigen Straßen hinunterpolterte und spürte, wie der leere Pritschenwagen hinter mir durch die vertrauten Schlaglöcher in der Nähe des Dorfes rumpelte, schickte ich ein stummes Gebet gen Himmel. Gott sei Dank!
    Mit der Zeit lernte ich die Gegend immer besser kennen,
und ein paar der Dörfer wurden mir vertraut. Ich lächelte oder versuchte, die Frauen zu grüßen, die still aus den Häusern in der Dunkelheit gehuscht kamen, um unsere Nahrungsmittel zu holen, bekam aber keine Reaktion. Fast überall waren die jungen Männer aus dem Straßenbild verschwunden: nur Frauen, Kinder und alte Leute. »Kämpfen die alle?«, fragte ich Brett eines Tages, der sich inzwischen wieder so weit erholt hatte, dass er wieder für uns im Lager packen konnte. »Nicht alle«, antwortete er kurz angebunden, und da begriff ich, dass man sie verhaftet hatte. Danach lud ich meine Nahrungsmittelpakete wieder schweigend aus, während die Kinder sogleich über die Milchdosen und manchmal auch Schokoriegel herfielen und die Mütter alles mit leeren Gesichtern entgegennahmen.
    Bei alledem machte ich mir nichts vor. Ich wusste, wozu das alles gut war. Die ganze Hitze und der Staub und die Angst und der Schlafmangel, der harte Alltag in einem fremden Krieg: Das alles war nur wegen Dominic, den ich mit Herz und Seele liebte und den ich aus beidem austreiben musste. Und ja, es half. Aber es ging auch darum, gut zu sein. Ein guter Mensch. Die ganze Mühe also nur für mich? Vielleicht. Aber mir scheint, dass jegliche Art von wohltätiger Arbeit einer allzu genauen Betrachtung nicht standhalten kann.
    Und ich will auch nicht den Eindruck erwecken, dass es immer nur Plackerei war. Es gab Tage, an denen ich mit meinen neuen Freunden an der dalmatinischen Küste in der Sonne sitzen konnte. Die Hände um die Knie geschlungen, die Ärmel hochgekrempelt, ruhten wir unsere müden Rücken aus und schauten aufs Meer hinaus. Auch in dem Häuschen am Hügel gab es Tage, an denen das Leben unendlich viel leichter wurde. Ibbys Mann, Alam,
kam aus den Bergen zurück, und die Freude, die Erleichterung – die Liebe –, die in diesem Häuschen ausbrach, ist etwas, das ich nie vergessen werde. Die alte Frau, deren Gesicht sich zu einem faltigen Lächeln verzog, wie ich es gar nicht für möglich gehalten hätte, nahm den Kopf ihres Sohnes in die Hände und küsste ihn fest. Mona hüpfte kreischend und klatschend auf und nieder. Ibby, die inzwischen hochschwanger war, lachte vor Freude, aber das Berührendste war vielleicht Alams Vater, der sich hinsetzte und weinte: sein einziger Sohn, zurück aus dem Krieg, unversehrt.
    Er war von den Tschetniks gefangen genommen worden, wie wir bei einem Begrüßungsmahl erfuhren, zu dem ich ebenfalls eingeladen war, aber glücklicherweise hatte er mit ein paar anderen entkommen können. Seine eingesunkenen Augen und seine ausgemergelte Gestalt waren Zeugen seines Leidensweges, und er hatte keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem Mann auf dem Bild in

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