War da noch was - Roman
hinrennen, als ihre hellen Augen sich in einem unsicheren Erkennen weiteten. Sie blieb stehen.
»Hattie?«
»Letty.«
»Oh – wie schön, Sie zu sehen!«, lächelte sie.
Ich hielt den Atem an, konnte aber seltsamerweise keine Spur von Sarkasmus wahrnehmen. Auch keine Lüge. Ihr Gesicht, eine verblasste, schockierende Imitation von vor sechzehn Jahren, war erwartungsvoll und offen.
»Ganz meinerseits«, stieß ich hervor, während ein auffallend hübsches, blondes Mädchen neben ihr auftauchte. Direkt hinter den beiden kam ein großer Mann in blauem Pulli und Jeans aus dem Geschäft, der sich gerade noch einmal zurückdrehte, um die fröhlich klimpernde Ladentür zu schließen. Er wandte sich zu uns um. Eine ältere, dunklere Version von … oh mein Gott!
»Sie kennen natürlich Hal Forbes, nicht wahr? Aber haben Sie je Cassie, meine Tochter, kennengelernt?« In Lettys Gesicht zuckte es leicht, während sie von einem Fuß auf den anderen trat. Ihre Tochter nahm ihr eine der Lampen ab, bevor sie sie fallen ließ.
»Das hier ist Hattie Carrington, Cassie, die Schwester von Laura Pelham.«
»Oh – hallo!« Cassie lächelte mich überrascht an.
Ich zwang mir ein Lächeln ab. Laura Pelhams Schwester. Nicht: Sie hat mal für deinen Vater gearbeitet. Oder: Sie und dein Vater haben mal … Ich erlebte plötzlich eine Rückblende zu dem Augenblick, als Letty in einem schwarz-weiß gemusterten Kleid, hochschwanger in der Tür stand, ihre Hand auf seinem Kind.
»Hallo, Cassie«, brachte ich hervor. »Hal.« Aber dabei schaute ich ihn nicht an. Hörte ihn nur murmeln: »Hattie. «
Ich war diesen Augenblick viele, viele Male im Geiste durchgegangen. Manchmal hatte ich Hal einfach ignoriert oder hatte sogar auf dem Absatz kehrtgemacht. Manchmal hatte ich gelächelt und ihn kühl begrüßt, vielleicht mit einem kleinen Küsschen rechts und links, als wäre nichts geschehen. Als wenn ich jeden Tag Briefe dieser Art auf meinem Kopfkissen fand. Und als sich unsere Blicke nun schließlich doch begegneten, war ich überrascht, dass seine Augen mich fragten, ob ich mich an die Zeit vor Dominic erinnern konnte, als wir Freunde gewesen waren, und dass meine Augen dies mit einem Ja beantworteten.
»Und ich bin Maggie du Bose«, verschaffte Maggie, die bei der Erwähnung von Hals Namen sofort geschaltet hatte, sich mit sanfter Stimme Aufmerksamkeit. Sie wusste Bescheid. Oh Gott, sie wusste Bescheid. Aber ich war dankbar, dass sie für Ablenkung sorgte und frischen Wind in die Unterhaltung brachte. Mir selbst hatte es nämlich die Sprache verschlagen.
»Wie lange sind Sie hier?«, fragte Letty. Vermutlich war die Frage an mich gerichtet, aber Maggie übernahm die Antwort.
»Ach, wir sind nur übers Wochenende hier. Wir sollen einen Blick auf Lauras Haus werfen und …«, berichtete sie munter.
Wie dumm von mir, dass ich mich von ihr hatte überreden lassen, ins Dorf zu gehen, dachte ich wütend, während sie erzählte. Ich war immer im Cottage geblieben, als Hugh und Laura noch dort wohnten. Aber jetzt waren sie in der Abbey, und ich hatte mich davon zu einem falschen Gefühl von Sicherheit verleiten lassen. Dabei hatte ich mich bislang ganz bewusst aus Lauras Gesellschaftsleben herausgehalten – Partys, Essenseinladungen – obwohl sie nicht einmal direkt etwas mit Letty zu tun hatte, die übrigens ganz, ganz schrecklich aussah, dachte ich entgeistert, während ich mir noch einen Blick auf ihr Gesicht gestattete. Ich hörte, wie Maggie ihr von den Renovierungsarbeiten in der Abbey erzählte und dass wir noch heute nach London zurückfahren würden, aber sicher bald einmal wieder hier wären, um die Räume in der Abbey auf Vordermann zu bringen, für die wir schon viele Ideen und Pläne hätten. Ich konnte es nicht ertragen, sie noch länger anzusehen und senkte den Blick, während die beiden Frauen sich unterhielten. Hals Augen, das wusste ich, ruhten auf mir, und ich spürte, wie meine Wangen glühten. Ich sehnte mich danach, hier wegzukommen, aber nun sprach die Tochter mich an, mit großen braunen Augen, die blonden Haare zu einem losen Knoten geschlungen und ihrem Vater so ähnlich, dass es mir fast den Atem verschlug. Jetzt sprach sie mich eindeutig an, wenn auch indirekt über ihre Mutter.
»Weißt du noch, dass ich dir erzählt habe, dass ich Lauras Neffen getroffen habe, Mum?«
»Ach ja, genau. Bei einer Schulfeier.«
»Sie sind also Seffys Mum.« Sie drehte sich zu mir.
Überrascht sagte ich: »Ja, das
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