Waren Sie auch bei der Krönung?
Leiden und Schmerzen, daß sie sich die ganze Familie Clagg während der kommenden sechs Monate völlig dienstbar machen könnte.
Den Gebrechen der Großmutter Rechnung zu tragen, gehörte zum Lebensritual der Claggs. Wenn man ihr Glauben schenken konnte, litt sie an Rheumatismus, Arthritis, Ischias, Arterienverkalkung, Versteifung der Gelenke, Sehnenentzündung und jeder anderen Krankheit, von der sie gerade zufällig in den Zeitungsinseraten der pharmazeutishen Industrie gelesen hatte. Am Morgen mußte man sie fragen, ob es ihr besser ginge, und bevor sie zu Bett ging, mußte man sich erkundigen, ob sie wohl imstande sein würde, zu schlafen. Die Claggs zweifelten niemals ihren Rechtsanspruch auf diese Leiden an, da sie ihr angesichts ihres fortgeschrittenen Alters durchaus zu gebühren schienen. —
So wünschte die Großmutter Donner, Blitz und Hagel herbei. Sie hoffte, daß der Ossa auf den Pelion getürmt würde, damit sie später von Will Clagg köstliche Zugeständnisse erpressen könne. Sie hatte die Katastrophe glücklich vorausgesagt. Durfte sie jetzt nicht erwarten, daß ihr Schwiegersohn sich wie ein Wurm vor ihr im Staub krümmen würde?
Zugegeben, die alte Dame hätte selbst gerne einen Blick auf die Königin geworfen, und zwar genau aus dem Grunde, der von ihrem Schwiegersohn erwähnt worden war: sie hätte dann zwei der großen Königinnen von England gesehen, die eine im Tode, die andere bei der Krönung, und sie wäre die lebendige Verbindung zwischen ihnen gewesen. Aber ihre Enttäuschung wurde aufgewogen durch den Gedanken, daß sie jedesmal, wenn sie von Wills Torheit berichtete, ein perverses Entzücken empfinden könnte. Wenn alle Verheißungen dieses Tages erfüllt worden wären, wenn sie ihren Platz im Fenster eingenommen oder auch nur auf der Prozessionsroute in der Menschenmenge hätte stehen können, dann hätte sie, wie sie wußte, nur das gesehen, was jeder andere sah. Und welchen Staat konnte man damit schon machen? Aber von diesem Malheur und seinen unzweifelhaften Folgen zu erzählen, würde Stunden in Anspruch nehmen, und so hatte sie ein Gesprächsthema zur Verfügung, mit dem sie ihre Freundinnen in Morecambe und Little Pudney bis zu ihrem Lebensende am Teetisch unterhalten konnte.
Will Clagg und Violet, deren Kummer durch das völlig zusammengebrochene Selbstvertrauen ihres Mannes noch vermehrt wurde, erhoben keinen Einspruch, als jetzt die Großmutter das Kommando über die Kinder übernahm. Unbarmherzig erteilte sie ihnen Weisung um Weisung, zupfte ihre Kleider zurecht, zerrte sie hinter sich her, bemitleidete sie im nächsten Augenblick, liebkoste und verzärtelte sie mit lauten, pointierten Bemerkungen über die Torheit, solche kleine Dinger auf eine derartige Expedition mitzunehmen, und verteilte die kleine Schokoladenration, die sie mitgebracht hatte und die alles war, mit dem sie ihren Hunger stillen konnten.
Das Radio verband sie noch immer mit der feierlichen Zeremonie in Westminster Abbey. Lionel hatte sich dem Willen der Mehrheit gefügt und gab sich damit zufrieden, den Apparat auf die Wellenlänge der BBC eingestellt zu lassen, ja er sonnte sich geradezu in der Aufmerksamkeit des lauschenden Menschenhaufens und in dem Ruhm, der Besitzer des Geräts zu sein. Aus seinem Gesichtsausdruck war zu schließen, daß ohne ihn der Rundfunk überhaupt nicht existiert hätte.
So hörten sie, wie in dem Gotteshaus, in das die Stimme des Kommentators sie vorübergehend versetzt hatte, die Edlen des Reiches vortraten und zu Füßen der Frau niederknieten, die wenige Minuten vorher durch eine mystische Verwandlung über sie gestellt worden war.
Sie sanken nicht nur auf die Knie, sondern zeigten durch eine symbolische Geste an, daß sie sich als ihre Untertanen bekannten. Sie falteten die Hände wie zum Gebet, hielten sie zwischen die Hände der Königin und verpflichteten sich auf diese Weise zu immerwährender Treue.
Unter der Führung des Erzbischofs von Canterbury, dem ihr eigener Gemahl und Vater ihrer Kinder, Prinz Philipp, auf dem Fuße folgte, traten dann die Männer vor, deren Name sich in jahrhundertelanger Geschichte dem Gedächtnis eingeprägt haben. Die grauen Köpfe gesenkt, beugten sie das Knie vor ihr und huldigten ihr. In unseren Tagen, in unserem Zeitalter hätte die Zeremonie leicht bedeutungslos und archaisch erscheinen können. Aber ihre Schönheit war so außerordentlich, daß man den Atem anhielt.
Die Prozession der Peers, die zum Treuegelübde befugt
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