Warnschuss: Thriller (German Edition)
obwohl er sich anders als gestern Nacht im Moment keine Gedanken wegen Savich machte.
Aus einigen Häusern wehte Frühstücksduft heran. In einem dudelte ein Zeichentrickprogramm aus einem Fernseher. Im Wesentlichen jedoch hatte er die Straße für sich allein. Er ging auf beiden Gehwegen mehrere Blocks weit auf und ab und suchte nach einem Hinweis darauf, dass Elise am Straßenrand geparkt hatte. Er fand nichts außer den gleichen bröckelnden Gehwegplatten wie in der nächsten Straße.
Er kehrte zu seinem Wagen zurück. Von dort aus folgte er der Hecke zwischen den beiden Häusern. Beide waren verriegelt, still und schienen leer zu stehen. Nur ein paar Dornenranken, der unebene Boden und eine schlecht gelaunte Katze, die mit wütendem Fauchen ihr Territorium verteidigte, verwehrten ihm den Zugang.
Während er sich vorarbeitete, suchte er den Boden gründlich ab. Einmal stieß er auf eine kleine, runde Vertiefung in der Erde, die von Elises Sandalenabsatz stammen konnte. Aber er war kein ausgebildeter Spurenleser. Sie konnte genauso gut von etwas anderem stammen.
Er durchquerte den schmalen Weg zwischen den Grundstücken. Von hinten sah das Haus, in dem sie sich getroffen hatten, noch verfallener aus. Er kletterte über den wackligen Maschendrahtzaun und lief durch das hohe Unkraut, das hinter dem Haus wucherte. Die Fliegentür quietschte, als er sie aufzog. Er erstarrte, hielt den Atem an und lauschte. Nachdem er sekundenlang nichts gehört hatte, zwängte er sich zwischen die Fliegentür und die eigentliche Tür und probierte den Türknauf zu drehen. Die Tür war abgeschlossen, aber das Schloss war alt und simpel und ließ sich mit dem Taschenmesser innerhalb weniger Sekunden knacken.
Durch diese Tür kam man direkt in die Küche. Er knipste die Taschenlampe an und leuchtete damit in dem düsteren Raum herum. Nichts deutete darauf hin, dass sich in letzter Zeit jemand hier aufgehalten hatte. Er überquerte den rissigen, an den Ecken hochstehenden Linoleumboden und schob sich durch die Schwingtür, die in den langen Flur in der Mitte des Hauses führte. Seine Lampe durchschnitt das Halbdunkel, aber hier bewegte sich nichts außer einigen Staubmotten.
Als er nach ihr rief, hallte seine Stimme gespenstisch durch das leere Haus. Er eilte ins Wohnzimmer und merkte, als er eintrat, dass er vor Spannung die Luft angehalten hatte.
Abgesehen von ihrem Duft war der Raum leer.
Er war kurz nach drei zu dem toten Napoli gerufen worden. Vor fast fünf Stunden. Die ganze Zeit über, während er den Tatort untersucht, den Tathergang zu rekonstruieren
versucht und Mutmaßungen darüber angestellt hatte, was Elise widerfahren war, hatte er sich an die schwache Hoffnung geklammert, dass er sie dort finden würde, wo er sie zuletzt gesehen hatte, vielleicht traumatisiert und desorientiert, ängstlich zusammengekauert oder auf der Flucht. Ganz gleich, in welchem Zustand er sie gefunden hätte, sie wäre immerhin am Leben gewesen.
Jetzt stieß er einen Seufzer tiefster Enttäuschung aus, und die Verzweiflung senkte sich schwer wie ein Kettenhemd über ihn. Die flüchtige Durchsuchung der anderen Räume im Erdgeschoss erbrachte nichts. Er zwang sich, die knarrende Treppe hochzusteigen und auch oben nachzusehen, aber bis auf ein Schlafzimmer, in dem ein rostiges Bettgestell mit noch rostigeren Sprungfedern stand, waren alle Räume leer.
Er kehrte ins Wohnzimmer zurück. Obwohl ihm klar war, dass das peinliche Gefühlsduselei war, setzte er sich auf das Sofa, fuhr mit der Hand über das Polster und stellte sich vor, dass es immer noch die Wärme abstrahlte, die sie mit ihren Körpern erzeugt hatten.
Was war passiert, nachdem er verschwunden war? Was hatte sie danach getan?
Vielleicht hätte er seinen Kollegen wenigstens von dem Treffen mit Elise in diesem Haus erzählen sollen, selbst wenn er dabei verschwiegen hätte, dass er mit ihr geschlafen hatte. Das war ein zentraler Punkt in ihren Ermittlungen.
Es war noch nicht zu spät. Er konnte gleich jetzt DeeDee anrufen und ihr die Adresse nennen. Sie wäre in Rekordzeit hier. Er konnte ihr eine geraffte Version dessen, was sich vergangene Nacht in diesem Raum abgespielt hatte, geben. Ihr alles zu erzählen wäre eine Erleichterung und würde die Schuld, die auf ihm lastete, erträglicher machen.
Andererseits wollte DeeDee sich ganz sicher korrekt verhalten.
Daran war nicht zu zweifeln. Sie würde sofort zu Gerard laufen. Gerard würde sein klammheimliches Treffen mit Elise
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