Warnschuss: Thriller (German Edition)
eine andere Möglichkeit war ihm auch schon in den Sinn gekommen, aber er hatte sich stur geweigert, sie zur Kenntnis zu nehmen oder zu akzeptieren.
»Ich glaube, wir können getrost davon ausgehen, dass Mrs Laird sich mit Coleman Greer einigen Ärger eingehandelt
hat. Ob er nun schwul oder bi oder was auch immer war, erst drohte ihr Trotter und später Napoli mit einem handfesten Skandal. Ihr Leben ist innerhalb kürzester Zeit den Bach runtergegangen. Der Vorfall mit Trotter konnte noch als Notwehr erklärt werden. Plausibel, wie ich glaube.
Aber wie die Sache mit Napoli auch abgelaufen ist, es war eine schmutzige Geschichte, und sie saß mit einem zweiten Toten da. Das würde Fragen und Zweifel aufwerfen und sie womöglich vor Gericht bringen. Selbst wenn sie nicht ins Gefängnis käme, würde der Skandal ihren Mann die Karriere und, vor allem, sie ihr Leben auf der Sonnenseite kosten.
Vielleicht war die Angst vor dem, was das nach sich ziehen würde, zu groß.« Er ließ den Satz ein paar Sekunden nachklingen und schloss dann: »Vielleicht ist Elise von der Brücke gesprungen, weil sie sterben wollte.«
Nachdem Duncan versprochen hatte, gleich bei seiner Rückkehr einen Bericht zu schreiben, verließ er vor allen anderen die Polizeizentrale.
Das heißt, er versuchte es zumindest.
Gerade als er aus der Tür trat und sich an den Reportern vorbeischob, erschien DeeDee an seiner Seite. »Duncan, ist alles okay?«
»Ja.«
»Nein.«
»Doch«, wiederholte er halsstarrig. »Ich bin bloß k.o.«
»Das glaube ich nicht. Was ist mit dir los?«
»Nichts!«
»Schrei mich nicht an!«
»Ich schreie nicht, ich will nur etwas betonen. Ich bin okay bis auf diese … Unklarheit.«
»Unklarheit?«
Er schloss seinen Wagen auf und drehte sich dann zu ihr um. »Denk doch mal nach. Die letzten beiden Fälle, in denen wir ermittelt haben, waren keine simpel gestrickten Mordfälle. Ich wünschte, wir würden mal wieder einen erwischen, in dem wir nur einen Blick auf die Leiche zu werfen brauchen und sagen: ›Das war ein lehrbuchmäßiger, altmodischer, durch und durch ehrlicher, aus niedersten Beweggründen begangener Du-sollst-nicht-töten-Mordfall. ‹«
»Ich habe darüber nachgedacht«, sagte sie. »Und weißt du was? Ich glaube, wir haben es genau damit zu tun. Einem durch und durch ehrlichen Du-sollst-nicht-töten-Mordfall. Kommt es dir nicht merkwürdig vor, dass in diesen beiden unklaren Fällen das Opfer in der Sekunde seines Todes Elise Laird vor Augen hatte?«
Er zog die Tür auf und stieg ein. »Bis später.« DeeDee fing die Tür ab, bevor er sie zuschlagen konnte. Er sah grimmig zu ihr auf. »Wir reden später weiter, DeeDee. Ich bin so fertig, dass ich im Moment nicht richtig denken und mich erst recht nicht konzentrieren kann.«
»Du bist nicht nur müde. Ich habe dich schon müde gesehen. Das hier ist nicht müde.«
»Sieh mich gut an. So sieht müde aus.« Er zerrte an der Tür, bis sie losließ. »Bis später.«
Beim Wegfahren beobachtete er sie im Rückspiegel. Sie blieb stehen und sah ihm nach, die Stirn in besorgte Falten gelegt, dann drehte sie sich um und ging ins Gebäude zurück. Sobald sie außer Sichtweite war, trat er aufs Gas.
Wenige Minuten später war er wieder in der Gegend, in der er Elise gestern Abend getroffen hatte. Gewöhnlich ließ das weiche Pastell der Morgendämmerung selbst die abweisendste Umgebung freundlicher erscheinen. Nicht diese Straßen. Sie kamen ihm an diesem Morgen genauso bösartig vor wie in der vergangenen Nacht.
Während er langsam an dem Haus vorbeirollte, suchte er nach einem Hinweis, ob sich jemand darin aufhielt, konnte aber nichts entdecken. Jetzt fiel ihm wieder ein, dass bei seiner Ankunft gestern ebenfalls nichts darauf hingedeutet hatte, dass sich jemand darin befand.
Wo hatte Elise ihren Wagen geparkt?
Als sie ihm vor seinem Stadthaus aufgelauert hatte, hatte sie in einer Nebenstraße geparkt, damit er den Wagen nicht sah. Er kam zu dem Schluss, dass sie gestern die gleiche Taktik angewandt haben konnte, bog an der nächsten Ecke ab und umfuhr den Block.
Die Häuser an dieser Straße waren in genauso schlechtem Zustand wie die Nachbarhäuser weiter hinten. Er parkte vor dem Haus, das mit dem Rücken zu dem von Elises unbekanntem Freund stand, und fragte sich gleichzeitig, ob es diesen Freund überhaupt gab.
Bevor er ausstieg, nahm er die Stablampe aus dem Handschuhfach. Das Gewicht der Dienstwaffe unter seinem Arm beruhigte ihn ein wenig,
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