WARP 1 - Der Quantenzauberer (German Edition)
aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfasst. Die Geister kommunizieren in meinen Träumen mit mir. Sie flüstern von Worten und Musik, aber auch von Ereignissen in der Zukunft. Von Kriegen und Katastrophen. Von Krankheiten und Hunger. Es ist eine schreckliche Bürde.« Er stützte seine schicksalsgeplagte Stirn in die Hände. »Niemand wird je verstehen, was für ein Kreuz ich trage.«
Riley wagte es, seinem Helden den Unterarm zu tätscheln. »Sherlock Holmes hat gesagt, Genie ist die unbegrenzte Fähigkeit, Schmerz zu ertragen . Und Sie, Sir, sind doch ganz bestimmt das größte Genie, das je gelebt hat.«
Charismo lächelte traurig. »Du lieber Junge. Ja, vielleicht bin ich das. Und wie wohltuend, dass diese Tatsache endlich einmal anerkannt wird. Du bist wirklich ein scharfsichtiger junger Bursche.«
Er tupfte mit einem Taschentuch in der Nähe seines rechten Auges herum. »Scharfsichtig und wohlerzogen. Du hast zweifellos meine verschiedenen Masken bemerkt und doch kein Wort gesagt.« Tibor Charismo klopfte mit dem Zeigefinger auf die glatte Oberfläche der Maske, die seine linke Gesichtshälfte bedeckte. »Dieses Modell ist eine japanische Noh-Maske, die den Teufel darstellt.« Er kicherte. »Ich trage sie bei Séancen – ein bisschen melodramatisch, ich weiß, aber die Damen gruseln sich immer so hübsch.« Er schwieg einen Moment, und sein Mund verzog sich in lang erduldetem Kummer. »Ich weiß, was sie sagen, die sogenannten Herren der Presse. Charismo versteckt seine Warzen. Oder Tibor Charismo mimt den Geheimnisvollen, weil er ein Betrüger ist. Aber die Wahrheit ist, ich trage diese Maske, um eine schreckliche Entstellung zu verbergen. Ein Muttermal, wegen dem ich als Kind so ausgelacht worden bin, dass ich es nicht mehr ertrage, mich so zu zeigen. Selbst nachts trage ich einen seidenen Schleier.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Warum muss Tibor diesen Fluch erdulden?«, brüllte er zum Himmel, und dann: »Oh, wunderbar. Tee!«
Barnum, der hünenhafte Kutscher, war offenbar auch Butler. In eine Livree gezwängt betrat er den Raum und schob einen Rollwagen mit allerlei Kuchen und Getränken herein.
»Ich weiß doch, was für Leckermäuler ihr jungen Bengel seid«, sagte Tibor und füllte einen Teller für Riley.
»Oh nein, Sir«, wehrte Riley ab. Nach dem überaus reichlichen Frühstück war er noch zum Platzen voll. »Ich bin so viel Essen nicht gewöhnt.«
»Unsinn«, widersprach Charismo. »Du musst unbedingt les macarons probieren. Mein Küchenchef ist Franzose, und die sind seine Spezialität. Obwohl die verschiedenen Geschmacksrichtungen auf meine Inspiration zurückgehen. Ein Tipp von den Geistern.«
»Na gut, eins vielleicht«, sagte Riley und nahm sich eine von den kleinen runden Makronen.
Charismo füllte sich ebenfalls einen Teller und aß konzentriert und hingebungsvoll, wobei er bei jedem Bissen genussvoll stöhnte. Schließlich lehnte er sich zurück und rülpste so lautstark in sein Taschentuch, dass der Stoff flatterte.
»Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, Tibors Prüfungen, aber genug davon. Du musst mich für einen schrecklichen Langweiler halten. Schließlich sind wir ja hier, um über dich zu reden. Die Geister haben mir versichert, dass du ein faszinierendes Leben gehabt hast. Fangen wir doch mal mit diesen faszinierenden Augen an.« Charismo legte einen Finger an seine Schläfe und machte eine Miene, als ob er lausche. »Die Geister sagen mir, dass man diese Besonderheit Anisokorie nennt und dass sie meist durch ein Trauma ausgelöst wird, aber auch vererbt sein kann.« Er beugte sich vor, plötzlich sehr aufmerksam. »Erinnerst du dich, mein lieber Junge?«, fragte er, Zuckerkrümel auf den Lippen. »Erinnerst du dich an deine Eltern? Hatten sie auch ungleich große Pupillen?«
Riley schlürfte seinen Tee. »Das weiß ich nicht, Sir. Manchmal habe ich Träume oder Visionen. Ich war noch klein, als meine Eltern starben … oder genauer gesagt, ermordet wurden. Von einem Mann namens Garrick. Und der ist jetzt hinter mir her.«
Charismo drückte sich entsetzt das Taschentuch an den Mund. » Quelle horreur! Ermordet, sagst du? Das ist ja schrecklich.« Er tätschelte Rileys Knie. »Aber hier bist du sicher, mein Junge.«
Riley stellte seine Tasse zurück auf die Untertasse und strich mit dem Finger über das aufgemalte Muster aus tanzenden Mädchen. »Ich kann nicht lange bleiben, Sir. Es war sehr nett, dass Sie uns aufgenommen haben, aber Garrick findet
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