Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Warte auf das letzte Jahr

Warte auf das letzte Jahr

Titel: Warte auf das letzte Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
Vom Netzwerk:
wenn Sie die Ergebnisse nicht interessieren. Oder wenn Sie nicht in der Lage sind, sie zu akzeptieren. Dies hier ist ein mörderisches Milieu; Dutzende von Menschen kämpfen vierundzwanzig Stunden am Tag darum, Ginos Aufmerksamkeit zu erregen. Sie müssen sich einen Weg durch das Gewühl bahnen. Deshalb ist Gino krank – oder besser: Deshalb zieht er es vor, krank zu sein.«
    »Ja, er zieht es vor«, nickte Eric.
    »Er ist ein hysterischer Hypochonder; Sie wissen schon, die Leute, die sich einbilden, krank zu sein, ohne daß ihnen wirklich etwas fehlt. Das ist seine Methode, sich die Leute vom Hals zu halten; er ist einfach zu krank, um sich mit ihnen herumzuschlagen.« Sie lachte vergnügt. »Sie wissen es doch auch – Sie haben ihn untersucht. Und ihm fehlt nichts.«
    »Haben Sie die Krankenakte gelesen?«
    »Natürlich.«
    »Dann wissen Sie auch, daß Gino Molinari schon dreimal Krebs gehabt hat.«
    »Na und?« Sie zuckte die Achseln. »Hysterisch bedingt.«
    »Nicht im medizinischen Sinne …«
    »Wem glauben Sie eigentlich mehr; Ihren Lehrbüchern oder den Dingen, die Sie mit eigenen Augen sehen?« Sie blickte ihn forschend an. »Wenn Sie hier überleben wollen, dann sollten Sie sich besser entschließen, Ihre Lage realistisch zu betrachten und die Tatsachen zu akzeptieren, wie sie nun einmal sind. Sie glauben, daß Teagarden froh ist, daß Sie hier sind? Für ihn stellen Sie eine Bedrohung dar; er ist bereits dabei, einen Weg zu suchen, wie er Sie diskreditieren kann – oder haben Sie das etwa nicht bemerkt?«
    »Nein«, gestand er. »Ich habe es nicht bemerkt.«
    »Dann haben Sie keine Chance. Teagarden wird dafür sorgen, daß Sie so schnell hier herausfliegen, daß …« Sie verstummte. Vor ihnen befand sich die Tür zu Molinaris Krankenzimmer; die Sicherheitsbeamten bewachten sie noch immer. »Wissen Sie eigentlich, warum Gino in Wirklichkeit diese Schmerzen hat? Damit man ihn verwöhnt. Damit man ihn wie ein Baby hätschelt; er will wieder ein Baby sein, um nicht die Verantwortung eines Erwachsenen tragen zu müssen. Sie verstehen?«
    »Derartige Theorien«, bemerkte Eric, »klingen so perfekt, sind so einleuchtend, daß man ihnen mit Mißtrauen begegnen sollte.«
    »Aber in diesem Fall stimmt es«, versicherte Mary. Sie schob sich an den Geheimdienstbeamten vorbei, öffnete die Tür und trat ein. Als sie neben Ginos Bett stand, blickte sie auf ihn hinunter und fauchte: »Steh auf, du großer, fauler Bastard.«
    Gino öffnete die Augen und richtete sich schwerfällig auf. »Oh. Du bist es. Entschuldige, aber ich …«
    »Ich entschuldige überhaupt nichts«, schnappte Mary. »Du bist nicht krank. Steh auf! Ich schäme mich für dich; jeder schämt sich für dich. Du benimmst dich wie ein Baby – wie kannst du erwarten, daß ich dich respektiere, wenn du dich so aufführst?«
    Nach einer Weile flüsterte Gino: »Vielleicht erwarte ich das gar nicht.« Die Anklage des Mädchens schien ihn mehr als alles andere zu bedrücken. Dann erblickte er Eric. »Sie haben gehört, was sie gesagt hat, Doktor?« erkundigte er sich düster. »Niemand kann sie aufhalten. Sie stürmt hier herein, wenn ich im Sterben liege, und beschimpft mich auf diese Weise – vielleicht ist das der Grund, warum ich sterbe.« Behutsam kratzte er sich den Bauch.
    »Im Moment spüre ich nichts mehr. Ich glaube, daß die Spritze, die Sie mir gegeben haben, dafür verantwortlich ist; was haben Sie mir injiziert?«
    Es liegt nicht an der Spritze, dachte Eric, sondern daran, daß ich McNeil operiert habe. Die Schmerzen sind fort, weil ein Hilfskoch des Weißen Hauses nun ein Transplantherz in seiner Brust trägt. Ich hatte also recht.
    »Wenn mit dir alles in Ordnung ist …« begann Mary.
    »Schon gut«, seufzte Molinari. »Ich werde aufstehen, aber laß mich um Himmels willen allein.« Mühselig erhob er sich. »Ja, verdammt noch mal, ja!« brüllte er wutentbrannt. »Ich stehe auf; bist du nun zufrieden?«
    Mary Reineke drehte sich zu Eric herum. »Was sagen Sie nun? Ich kann ihn dazu bringen, daß er das Bett verläßt; ich kann ihn dazu bringen, daß er wieder wie ein Mann aufrecht dasteht.«
    »Herzlichen Glückwunsch«, murmelte Gino säuerlich, während er sich zittrig aufrichtete. »Ich brauche keine Ärzte; alles, was ich brauche, das bist du. Aber Dr. Sweetscent hat meine Schmerzen verschwinden lassen, nicht du. Was hast du jemals anderes getan, als mich zu beschimpfen? Wenn ich jetzt wieder aufstehen kann, dann allein dank deiner

Weitere Kostenlose Bücher