Warte auf das letzte Jahr
Stadt lag in Trümmern.
Während er dastand und hinausstarrte, spürte er, wie die Realität dieses Zimmers, die Festigkeit seiner Umgebung allmählich wich; alles entzog sich ihm, und verzweifelt versuchte er, sich festzuklammern.
»Viel Glück, Doktor«, erklärte Festenburg hohl, und dann wurde auch er zu einem Nebelfetzen, der grau und fahl um ihn herumwirbelte, und verschmolz mit den rauchigen Überresten des Schreibtisches, der Zimmerwände, der Dinge, die vor einem Augenblick noch vollkommen stabil gewesen waren.
Er taumelte – und kämpfte darum, sein Gleichgewicht zu bewahren. Er war schwerelos, und ihm wurde übel … und dann, während ein Schmerz in seinem Schädel wütete, blickte er auf und sah die Tische und die Gäste der Cafeteria des Weißen Hauses.
Eine Menschenmenge hatte sich um ihn versammelt. Besorgt, zögernd. Sie schreckten davor zurück, ihn zu berühren, gafften nur.
»Danke für die Hilfe«, keuchte er und kam mühsam wieder auf die Beine.
Die Zuschauer kehrten schuldbewußt zu ihren Tischen zurück und ließen ihn allein. Allein – mit Kathy.
»Du warst über drei Minuten weggetreten«, sagte sie.
Er schwieg; er wollte nicht mit ihr sprechen, wollte nichts mit ihr zu tun haben. Ihm war schlecht, und seine Beine zitterten; sein Kopf war wie zerschmettert, ja zersplittert, und er dachte: So muß es sein, wenn man eine Kohlenmonoxidvergiftung erlitten hat. Wie es in den alten Lehrbüchern beschrieben wird. Ein Gefühl, als habe man den Tod selbst eingeatmet.
»Kann ich dir helfen?« fragte Kathy. »Ich weiß, wie man sich nach dem erstenmal fühlt.«
»Ich werde dich jetzt ins Lazarett bringen«, erklärte Eric. Er ergriff ihren Arm und stieß dabei gegen ihre Handtasche. »Dein Vorrat muß sich in der Tasche befinden«, bemerkte er und nahm sie ihr ab.
Einen Moment später befanden sich zwei längliche Kapseln in seinem Besitz. Er gab ihr die Tasche zurück.
»Danke«, sagte sie mit deutlicher Ironie.
»Ich danke auch dir, mein Schatz. Haben wir uns nicht schrecklich lieb, seit wir wieder zusammen sind?« Als er sie aus der Cafeteria hinausführte, begleitete sie ihn widerstandslos.
Ich bin froh, daß ich nicht auf Festenburgs Angebot eingegangen bin, dachte er. Doch Festenburg würde keine Ruhe geben; dies war erst der Anfang gewesen. Allerdings besaß er nun einen Vorteil gegenüber Festenburg, einen Vorteil, von dem der blaßgesichtige Redenschreiber – zu diesem Zeitpunkt – nichts wußte.
Von nun an, seit seiner Reise in die Zukunft, wußte er, daß Festenburg politische Ambitionen besaß. Daß er auf irgendeine Art versuchen würde, einen Staatsstreich durchzuführen und sich Unterstützung zu erkaufen. Die Uniform des UNO-Generalsekretärs war ein Schwindel gewesen, doch Festenburgs Ehrgeiz war Realität.
Und es war durchaus möglich, daß Festenburg in diesem Moment noch nicht begonnen hatte, die Vorbereitungen für seine weitere Karriere zu treffen.
Der Festenburg dieser Zeitperiode würde Eric Sweetscent nicht überraschen können, denn seinem gegenwärtigen Selbst war unbekannt, was er in einem Jahr versuchen würde. Und dieser zukünftige Festenburg hatte die Konsequenzen seines Tuns nicht durchschaut.
Dies war ein ernster politischer Fehler; ein Fehler, der sich nicht mehr rückgängig machen ließ. Vor allem, wenn man bedachte, daß andere politische Strategen mit immensen Fähigkeiten nach wie vor agierten.
Und einer von diesen Politikern war Gino Molinari.
Nachdem er seine Frau ins Lazarett des Weißen Hauses eingeliefert hatte, setzte er sich über Videofon mit Jonas Ackerman von TF&D in Tijuana in Verbindung.
»Also wissen Sie über Kathy Bescheid«, stellte Jonas fest. Er sah nicht sehr glücklich aus.
»Ich werde Sie nicht fragen, warum Sie das getan haben«, erklärte Eric. »Ich rufe an, um …«
»Was getan?« Jonas’ Gesicht verzerrte sich. »Sie hat Ihnen erzählt, daß ich sie auf das Zeug gebracht habe, oder? Das ist nicht wahr, Eric. Warum sollte ich so etwas tun? Überlegen Sie doch.«
»Reden wir später darüber.« Er hatte jetzt keine Zeit dafür. »Zunächst möchte ich erfahren, ob Virgil irgend etwas über dieses JJ-180 weiß.«
»Ja, aber er weiß nicht mehr als ich. Es gibt nicht viel …«
»Lassen Sie mich mit Virgil sprechen.«
Widerwillig stellte Jonas den Anruf in Virgils Büro durch. Einen Moment später erschien der alte Mann auf dem Bildschirm. Virgil lächelte heiter, als er erkannte, wer ihn da anrief.
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