Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall
daß es vielleicht ganz gut wäre, wenn sie für Sonntag ein Hühnchen oder etwas anderes besorgte, und fragte sich dann, ob Alan überhaupt zum Essen kommen würde, immer vorausgesetzt, daß ihre dilettantischen kulinarischen Bemühungen genießbar waren. Im nächsten Moment merkte sie, daß auf der Hauptstraße etwas los war. Ein Polizist hielt den Verkehr an, und am Randstein standen die Leute in Trauben und reckten die Hälse. Über die Köpfe hinwegblickend, sah sie, daß sich auf der Hauptstraße eine Prozession näherte. Sie wurde von zwei jungen Männern angeführt, die ein grob behauenes hölzernes Kreuz trugen. Einer war konventionell gekleidet, aber der andere war, wie sie überrascht feststellte, Barry in seiner ledernen Motorradmontur. Sie vermutete, daß man ihn dazu gepreßt hatte, doch wenn das der Fall sein sollte, schien er dennoch erstaunlich vergnügt. Hinter ihnen ging Pfarrer Holland in Soutane und Chorhemd mit einem geistlichen Kollegen, vermutlich einem Nonkonformisten mit Bäffchen. Ihnen folgte ein Chor, der im Augenblick nicht sang, aber Notenblätter in den Händen hielt, und zuletzt kam ein langer Zug von Gemeindemitgliedern. Pfarrer Holland entdeckte Meredith am Straßenrand und winkte.
»Kommen Sie mit!« rief er dröhnend. Meredith schloß sich dem Hauptteil des Zuges an, und jemand schob ihr ein Notenblatt in die Hand. Nach einiger Zeit sammelten sich alle vor der Kirchentür, und Pfarrer Holland begann, unterstützt von dem Kleriker in Bäffchen, eine Messe im Freien zu lesen. Es war zu kalt, um an diesem windigen Morgen still dazustehen. Meredith kreuzte die Arme vor der Brust und fröstelte. Das Kreuz war in der Vorhalle der Kirche aufgestellt worden; Barry hatte sich auf dem Stein eines Grabmals niedergelassen und sah mit seinem spitzen Straßenjungengesicht und schlaksigen Körper wie eine Art Luftgeist aus. Auf dem Kirchturm, beinahe direkt über ihm und vor ihm, hing eine mittelalterliche Regenrinne, die in einem lüstern übermütigen Wasserspeier mit schmalem Gesicht und spitz zulaufendem Käppchen endete. Zwischen Barry und dem Wasserspeier lagen tausend Jahre Christenheit, doch sahen sie sich unheimlich ähnlich, als habe das steinerne Haupt sich einen Körper zugelegt und sei von seinem Turm heruntergestiegen. Hinter einem Grabstein Zuflucht gegen die Kälte suchend, zog Meredith sich ein paar Schritte zurück und hörte Pfarrer Hollands endloser Predigt zu; er schrie gegen den immer stärker werdenden Wind an, der an seinem Chorhemd und an den Chorhemden des Chors zupfte und ihm ins Haar fuhr, so daß es senkrecht in die Höhe stand, als habe er einen Schreck erlebt. Sein breites Gesicht, von seinem buschigen Bart gesäumt, war von Kälte und eisigem Wind gerötet, doch er schien dagegen unempfindlich. Saatkrähen, die sich vom Wind tragen ließen, kreisten um den Kirchturm und untermalten die Stimme des Pfarrers und den Verkehrslärm auf der Straße mit ihrem Krächzen. Barry, in seiner schwarzen Ledermontur, hockte auf seinem Platz wie ein magerer Rabe, traktierte die Seite des Grabsteins mit den schweren Stiefeln, hob eine Hand, formte sie zu einer imaginären Pistole und feuerte auf die Vögel. Meredith sah, daß er mit den Lippen die Worte
»piff paff« formte und das lüstern übermütige Wasserspeier-Grinsen über sein Gesicht glitt. Pfarrer Hollands Stimme drängte sich in ihr Bewußtsein.
»Also lasset uns auf den kommenden Sonntag freuen, an dem wir die Auferstehung feiern, an dem wir an Wiedergeburt und einen neuen Anfang denken. Lasset uns beschließen, von neuem zu beginnen.« Pfarrer Holland verstummte und drehte sich um. Die Prozession bewegte sich in die Kirche, sogar Barry war von seinem Grabstein heruntergeklettert und hineingegangen, auf natürliche oder unnatürliche Weise verschwunden. Meredith tadelte sich wegen ihres Unernstes. Daß Barry hier war, war eine erstaunliche Leistung von Pfarrer Holland. Der Pfarrer schien bei seinem Gefolgsmann wider Willen endlich Erfolge zu erzielen. Vielleicht gab es keine verlorenen Fälle. Was man verlor, war der Wille zu kämpfen, der Mut weiterzumachen. Meredith stopfte das Notenblatt in die Tasche und machte sich auf den Weg zu Lauras Haus. Neu anfangen – richtig! Sie griff sofort zum Telefon und wählte die Nummer von Markbys Dienststelle. Als sie ihm von Susies Einladung erzählte, verlief das Gespräch noch ziemlich steif, schließlich aber platzte sie heraus:
»Hören Sie, das mit gestern abend tut mir
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