Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall
drin!« schrie eine Stimme aus dem Innern des Hauses. Sie folgte der Stimme und geriet in ein unordentliches Arbeitszimmer.
»Ah, guten Morgen. Hab gedacht, es sei nur Barry, der etwas will. Hatte keine Ahnung, daß es richtiger Besuch ist.«
»Barry? Oh, ist das der Gärtner?« Pfarrer Holland schnaubte verächtlich.
»Der Gärtner? Barry? Er macht nur ein bißchen Gemeindedienst.« Er senkte die Stimme.
»Barry gerät oft und leicht in Schwierigkeiten. Aber er ist kein schlechter Kerl. Läßt sich leicht leiten.«
»Ich verstehe. Ich bin Meredith Mitchell. Hoffentlich störe ich nicht …«
»Nein, nein …« Er winkte sie zu einem Sessel.
»Machen Sie es sich bequem. Was kann ich für Sie tun?« Meredith erklärte es ihm. Er hörte aufmerksam zu, sah zuerst leicht überrascht und dann interessiert aus.
»Die Grauen Leute, wie? Nun, ich selbst weiß nicht viel über sie und weiß auch nicht, wo Sie etwas über sie herausfinden könnten. Die meisten alten Akten wurden vor Jahren zur sicheren Aufbewahrung weggeschickt. Aber ich erinnere mich, etwas über die Sekte gelesen zu haben. Sie war wirklich sehr seltsam. Die Leute versetzten sich bei ihren Versammlungen in Trance, und wenn sie wieder zu sich kamen, hatten sie angeblich Visionen gehabt und berichteten darüber. Ziemlich gespenstische Visionen, wenn die Gerüchte stimmen. Kein Wunder, daß die Kirche und die Leute, die Recht und Ordnung vertraten, beunruhigt waren. Sublimierte sexuelle Phantasien würden wir es heute nennen, denke ich. Tatsächlich«, er hielt inne und stand auf, um seine Bücherregale zu durchforschen,
»in einem der alten Geschichtsbücher steht etwas über sie. Hier haben wir’s schon, ich glaube, das ist es.« Er zog einen altehrwürdigen Lederfolianten aus dem Regal und blies den Staub weg.
»Die hiesigen Geschichtsbücher haben nicht viel zu sagen.«
»Dieses Buch hat die Bibliothek wohl kaum. Es wurde achtzehnhundertachtzig gedruckt.« Der Priester blätterte in den engbedruckten Seiten.
»Ah, hier ist es, und – oh – hier ist auch ein Stahlstich des Gebetshauses vor dem Brand. Und, o Gott, das ist aber interessant!«
»Ja?« fragte Meredith ungeduldig, weil Pfarrer Holland das Buch selbst zu lesen begann und alles darauf hindeutete, daß er drauf und dran war, sie zu vergessen. Dann erinnerte er sich wieder an seinen Besuch.
»Damals wurde behauptet, daß die Visionen durch Opium hervorgerufen wurden.«
»Opium!« rief Meredith.
»Oh, diese oder jene Drogen zu konsumieren ist nicht so neu.« Pfarrer Holland setzte sich und legte das Buch auf seine Knie.
»Es geschah jedoch nicht in dem Ausmaß wie heute.« Er seufzte.
»Mitglieder meiner Kirchengemeinde haben erst kürzlich ihre Tochter verloren. Sehr trauriger Fall. Sie war von zu Hause weggelaufen und hatte mit anderen in einem besetzten Haus gelebt. Starb an einer Überdosis Heroin. Sie war als Drogenabhängige registriert. Als sie noch jünger war, hat sie im Kirchenchor gesungen. Sie war keine Streunerin. Ich denke, wir fühlen uns alle verantwortlich, wenn ein junger Mensch auf die schiefe Bahn gerät. Wir fragen uns – warum? Was hätten wir tun können, um es zu verhindern? Was haben wir falsch gemacht? Waren wir überfordert? Warum haben wir es nicht früher gemerkt? Der junge Barry draußen war sein Leben lang in einem Kinderheim und Fürsorgezögling. Bei ihm erwartet man Schwierigkeiten. Aber Lindsay hatte ein schönes Zuhause, liebevolle Eltern, war eine gute Schülerin …« Er seufzte abermals.
»Ein strahlendes, vielversprechendes junges Leben einfach ausgelöscht.« Meredith nickte mitfühlend, aber ihre Augen ruhten auf dem Buch.
»Ich nehme an, Sie würden es mir nicht leihen?« fragte sie zögernd.
»Ich würde es zurückbringen und es sehr sorgfältig behandeln. Ich gebe Ihnen meine Adresse, und wenn Sie eine Empfehlung brauchen, bekommen Sie sie von Chief Inspector Markby.« Pfarrer Holland sah sie leicht bestürzt und fragend an.
»Ich meine«, fügte Meredith hastig hinzu,
»wir sind miteinander befreundet.«
»Oh, ich verstehe.« Er warf einen Blick auf das Buch.
»Nun, ich sehe eigentlich keinen Grund, es Ihnen nicht zu leihen. Ich hätte es gern wieder. Ich denke, es hat mindestens seit einem Jahr niemand mehr hineingeschaut, aber man kann nie wissen. Heute fragen Sie nach den Grauen Leuten, und demnächst kann jemand anders kommen. Sie möchten einen Aufsatz über die Sekte schreiben, nicht wahr? Wäre nett, wenn ich ihn zu sehen
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