Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall
Selbstbewußtsein. Sie blickte in das Schaufenster. Vielleicht sagte sich Jessica selbst, daß sie sich attraktiver anziehen könnte.
»Das ist ein sehr schickes Kleid. Scheinen hier hübsche Sachen zu haben. Mein Pech ist, daß ich so groß bin. Ich muß mich bei allem, was ich kaufe, sehr vorsehen, sonst sehe ich aus wie ein Maibaum«, sagte Meredith. Jessica lächelte flüchtig wie ein Geist und sah dann so schuldbewußt aus, als sei Lächeln verboten.
»Ich glaube, Sie helfen Dolly mit den Pferden«, fuhr Meredith zielstrebig fort. Die Unterhaltung war die reinste Sisyphusarbeit.
»Ja.« Offensichtlich war Jessica verzweifelt bemüht, wegzukommen. Langsam schob sie sich seitlich an Meredith vorbei, bereit, jeden Moment zu flüchten, und Meredith fiel nichts ein, womit sie sie aufhalten konnte. Doch plötzlich meldete sich eine neue Stimme.
»Jess!« Ein junger Mann in Pullover und Jeans war bei ihnen stehengeblieben. Er sah Jessica ungläubig an.
»Ja, du bist es wirklich. Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Was tust du hier?«
»Michael?« Jessica blinzelte und verwandelte sich vor Meredith’ Augen. Ihre Wangen färbten sich rosig, ihr ganzes Gesicht glühte.
»Ich – ich wohne hier in der Nähe. Und was tust du hier?«
»Hab eine Stelle an der hiesigen Grundschule, bin aber erst seit Beginn des Frühlingstrimesters hier. Aber das ist ja wunderbar.« Er wandte sich Meredith zu und sagte verspätet:
»Tut mir leid, daß ich gestört habe, aber Jess und ich waren zusammen an der Pädagogischen Hochschule, und ich hatte wirklich keine Ahnung, daß sie hier wohnt. Ich dachte, ich kenne keinen Menschen in dieser Stadt.« Er war ein nicht gerade umwerfend, aber nett aussehender junger Mann mit einem freundlichen Wesen. Er sah wirklich überrascht und begeistert aus.
»Ich wollte sowieso gerade gehen«, sagte Meredith hastig.
»War nett, Sie zu treffen, Jessica. Ich nehme an, wir sehen uns auf der Witchett Farm wieder.« Sie entfernte sich rasch die Straße entlang, konnte aber nicht widerstehen, drehte sich um und blickte zurück. Jessica und der junge Mann unterhielten sich angeregt. Noch während Meredith hinsah, gingen sie weiter, der junge Mann redete wie ein Wasserfall, und Jessica nickte und sah wie ein völlig anderes Mädchen aus. Es schien, als sollte sich ihr Schicksal zum Besseren wenden. Meredith strich die Dinge von ihrer Liste, die Jessica ihrer Meinung nach gebraucht hätte – Kleider, neue Frisur – und ersetzte sie durch das Wort
»Freund«. Bekam sie letzteren, würden erstere sich von selbst ergeben. Über diese Wendung der Ereignisse sehr zufrieden, fuhr Meredith ins Pfarrhaus zu Pfarrer Holland. Sie hoffte, daß es in der Kirche Urkunden über die Grauen Leute gab. Wie Dolly ihr erzählt hatte, hatte sich der im achtzehnten Jahrhundert in Bamford tätige Pfarrer mit dem Friedensrichter und ein paar anderen einheimischen hohen Tieren zusammengetan, um in der Stadt Stimmung gegen die Sekte zu machen. In den Papieren der Kirche mußte irgendwo etwas darüber zu finden sein. Die Pfarrei war ein weitläufiges viktorianisches Haus mit einem zugewachsenen Garten. Ein Junge mit kurzgeschorenen Haaren und pickeligem Gesicht schob unproduktiv und gelangweilt einen Motorrasenmäher auf dem Rasen hin und her. Er trug eine Jeansjacke, geschmückt mit einem handgemalten, von Blitzen umzuckten Totenschädel und der Aufschrift Death Rock, und einen aus Patronenhülsen gearbeiteten Gürtel. Das Gras flog in alle Richtungen und wurde von seinen Doc-Martens-Stiefeln niedergetreten. Wo er gewesen war, sah es, wenn möglich noch unordentlicher aus als der Teil des Rasens, den er noch nicht
»bearbeitet« hatte. In der Nähe des Hauseingangs war ein großes schwarzes Motorrad aufgebockt, und jedesmal, wenn er in seine Nähe kam, warf der Gärtner, falls er denn einer war, einen wehmütigen Blick auf die Maschine. Als er Meredith sah, unterbrach er seine Arbeit, wie vermutlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit, stützte sich auf den Griff des Rasenmähers und sagte freundlich:
»Hallo. Suchen Sie den Pfarrer?«
»Ja. Pfarrer Holland. Ist er zu Hause?« Der Junge rieb sich mit einer schmutzigen Hand die Nase.
»Ja. Die Tür ist offen. Gehn Sie einfach rein und rufen Sie.« Meredith war nicht ganz sicher, ob das die richtige Art war, sich anzumelden, doch die Tür stand tatsächlich offen. Sie drückte auf die Klingel, öffnete die Tür ein bißchen weiter und räusperte sich laut.
»Ich bin hier
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