Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall
nichts davon, und Ken sagt, wenn man nicht genau weiß, was man kauft, wird man nur betrogen. Heutzutage stellen sie phantastische Fälschungen her, und man erkennt kaum den Unterschied. Also sagte ich zu dem Typen: ›Nein, ich kaufe nichts.‹ Obwohl Ken sich für alte Landkarten und Bücher interessiert. In Oxford gibt es einen Laden, in dem er, schätze ich, etwas kaufen wird, bevor wir nach Hause fahren. Doch das ist was anderes. Es ist ein reguläres Geschäft, wo sie alles mögliche haben, und der Mann dort weiß richtig Bescheid und erklärt es Ihnen. Und an den anderen Leuten dort, den anderen Kunden, meine ich, sieht man, daß es ein seriöses Geschäft ist. Jemand, der an Ihre Haustür kommt – nun, das ist nicht dasselbe, oder?«
»Nein«, sagte Meredith.
»In letzter Zeit ist niemand mehr dagewesen? Und gehört haben Sie auch nichts?« Susie schüttelte ihre Haarbüschel.
»Nein, warum? Hat sich jemand beschwert?«
»Nein, ich habe mich nur gefragt. Die alte Dame, von der ich Ihnen erzählt habe, dachte, jemand sei vielleicht zurückgekommen. Ein Herumtreiber, wissen Sie, und vielleicht derselbe Mann.«
»Ein Herumtreiber?« Susie sah besorgt aus.
»Das gefällt mir nicht. Ich werde es Ken erzählen. Aber wir haben ein Komitee zum Schutz der Nachbarschaft und Vorbeugung von Verbrechen gegründet. Wir treffen uns am Donnerstag im Haus direkt gegenüber. Kommen Sie doch auch, wenn Sie Lust haben.«
»Danke, vielleicht komme ich.« Susie rutschte vom Hocker.
»Jetzt muß ich gehen. Aber mit meiner Einladung zum Abendessen war es mir ernst. Danke für den Kaffee. Wir sehen uns.« Mit wippenden Haarbüscheln ging sie davon. Meredith runzelte die Stirn und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Es sah tatsächlich so aus, als habe der Antiquitätenhändler nichts mit Dollys nächtlichem Besucher zu tun. Nun, sie hatte für heute eigene Pläne, und wenn sie hier herumsaß, geschah gar nichts. Sie räumte die Eier in den Kühlschrank. Die konnte sie mittags essen. Dann spülte sie die Tassen ab, nahm Notizbuch und Kugelschreiber und brach auf. Ihr erster Besuch führte sie in die Bibliothek. Es dauerte eine Weile, bis sie die alte Landkarte fand, auf der die Begräbnisstätte der Grauen Leute eingezeichnet war; doch die Bibliothekarin war interessiert und forschte nach weiterem Material für Meredith. Die lokalen Geschichtsbücher wußten über das Thema wenig zu sagen, außer daß das Gebetshaus anno 1842 unter mysteriösen Umständen abgebrannt war. In einem Buch war eine unscharfe Fotografie, auf der man Ausgrabungen auf einem Feld sah.
»Vor ein paar Jahren waren einige Archäologen hier und haben ein bißchen gegraben«, sagte die Bibliothekarin.
»Aber sie haben nichts gefunden. Vielleicht sollten Sie es in den Urkunden der Grafschaft oder im Heimatmuseum versuchen.« Meredith fotokopierte die Landkarte und ging. Sie hielt beim Schreibwarenhändler, wo Sie sich eine amtliche topographische Karte der Gegend kaufte, mit der sie ihre Landkarte aus der Bibliothek vergleichen wollte. Als sie auf die Straße trat, entdeckte sie zu ihrem Erstaunen eine bekannte Gestalt – Jessica Winthrop. Sie stand vor dem Schaufenster eines Geschäfts für Damenbekleidung. Im Eingang des Schreibwarenladens halb verborgen, beobachtete Meredith das Mädchen. Jessica trug noch immer Reithose, Stiefel und Pullover. Doch das Kleid, das sie sich ansah, war ein Partykleid, sehr schick in Schwarz, mit einem Straßgefunkel auf der linken Seite des Oberteils. Jessica sah wehmütig aus und nagte an der Unterlippe.
»Hallo«, sagte Meredith und hoffte, das Mädchen nicht zu erschrecken. Jessica drehte sich schnell um, und ihr blasses Gesicht wurde feuerrot. Schreck fuhr ihr in die Augen, und sie wich zurück.
»Ich bin Meredith Mitchell«, sagte Meredith hastig und wünschte sich, das Mädchen würde nicht immer reagieren wie ein aufgescheuchtes Reh.
»Ich war bei Dolly Carmody, als Sie vor ein paar Tagen zu ihr kamen. Sie sind Jessica, nicht wahr? Jessica Winthrop?«
»Ja, ich erinnere mich an Sie«, antwortete Jessica, mit den Füßen scharrend, leise und undeutlich. Sie sah aus, als wollte sie wieder fliehen. Aus der Nähe gesehen, war sie ein wirklich hübsches Mädchen, aber der unveränderlich unglückliche Gesichtsausdruck ließ sie unscheinbar aussehen. Was sie braucht, dachte Meredith, sind ein paar anständige Kleider und ein anständiger Haarschnitt, ganz zu schweigen von einer riesigen Transfusion an
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