Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall
Hinweis nicht folgte, würde er mit Recht sehr argwöhnisch werden. Sie konnte auch nicht mit Sicherheit annehmen, daß er es nicht erfahren würde. Bei Alwyn war es klug, nichts vorauszusetzen, soviel hatte sie inzwischen begriffen. Ob es ihr nun gefiel oder nicht, sie würde zumindest versuchen müssen, bei der Adresse vorzusprechen. Auf jeden Fall war es ein schöner Tag und Oxford eine Stadt, die sie liebte, in der sie aber schon seit längerem nicht mehr gewesen war. Sie kannte jedoch die einzelnen Wohnviertel nicht und auch nicht die Verkehrsprobleme in den Seitenstraßen. Daher dauerte es eine Zeitlang, bis sie das Haus entdeckte, eine spätviktorianische Villa in Park Town. Meredith quetschte ihren Wagen in eine Lücke am Straßenrand und stieg aus, um das Gebäude zu betrachten. Es wirkte hinter der akkurat beschnittenen Lorbeerhecke erschreckend respektabel und strahlte akademische Würde aus. Es hatte eine jener Haustüren, bei denen man instinktiv erwartete, daß sie von einem Stubenmädchen mit Rüschenhäubchen geöffnet werden würde. Es gab sogar einen polierten Schuhabkratzer aus Messing neben dem Eingang, damit Besucher sich die Schuhe vom Straßenkot säubern konnten, bevor sie eintraten. Tatsächlich wurde die Tür aber von einem etwa elfjährigen, an einem Apfel kauenden Mädchen in Jeans und pinkfarbenem Sweatshirt geöffnet. Es starrte Meredith mit dem bösen Blick an, den Kinder manchmal an sich haben.
»Ah«, sagte Meredith irritiert,
»sind deine …« Doch hier stand sie vor einem Problem. Wenn sie fragte
»Ist deine Mutter oder dein Vater zu Hause?«, riskierte sie, daß ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde. Der Brief an Alwyns Vater war mit
»Matthew Gretton« unterschrieben gewesen, daher fragte sie ohne Umschweife:
»Wohnt Mr. Matthew Gretton hier?«
»Ja«, sagte das Kind geräuschvoll kauend,
»aber er ist in der Schweiz.« Das letzte Wort wurde mit vollem Mund gesprochen. Verdammt! dachte Meredith und mußte sehr enttäuscht aussehen, denn das Kind sagte:
»Aber Dr. Gretton ist zu Hause.« Es schluckte ein erschreckend großes und nur halb zerkautes Apfelstück hinunter, erstickte aber wie durch ein Wunder nicht daran.
»Oh.« Eine weitere Komplikation. Vielleicht hätte sie nach Dr. Gretton fragen sollen? Dr. Gretton hörte sich an wie eine Person, die in Feldern nach obskuren Artefakten grub.
»Könnte ich Dr. Gretton sprechen. Mein Name ist Mitchell.«
»Warten Sie«, sagte das Kind und verschwand, rief dann irgendwo im Innern des Hauses hoch und schrill:
»Tantchen Ursie!« Meredith wartete voller Unbehagen und bereitete sich darauf vor, in ein Allerheiligstes geführt zu werden, das von einer professoralen Gestalt mit Schnupftabakspuren auf der Weste bewohnt wurde. Er würde wahrscheinlich sehr ungehalten sein, weil eine Fremde es wagte, ihn zu stören. Sie hoffte nur, daß ihr Wagen niemanden blockierte oder in einer Parkverbotszone stand. Schritte näherten sich, und eine junge Frau, etwa im gleichen Alter wie Meredith selbst, erschien. Sie hatte üppiges dunkles Haar, das mit einem Band zurückgebunden war, und unglaublich kornblumenblaue Augen. Sie trug eine farbverschmierte Kittelschürze und hatte in einer Hand eine Dose Dulux und in der anderen einen grünfleckigen Pinsel.
»Hallo«, sagte sie,
»Sie wollten mich sprechen?«
»Dr. Gretton?« fragte Meredith verblüfft.
»Ja, ich streiche grade den Gartenschuppen. Kommen Sie rein, aber eine Sekunde werden Sie schon warten müssen. Ich muß den Pinsel in Terpentin stellen und den Deckel auf die Dose tun.«
»Tut mir leid, daß ich so ungelegen komme –«, begann Meredith leicht verlegen, als sie Dr. Gretton durch die Halle folgte.
»Macht nichts«, kam die Antwort.
»Hör zu, Enid, faß mir ja den Schuppen nicht an, verstanden? Er ist feucht.« Sie waren jetzt im Hintergarten. Von einer hohen Ziegelmauer umgeben, war es ein von Natur aus sonniger Platz mit Spalierbäumen, und das Kind Enid saß auf einer Schaukel unter einem großen Kastanienbaum, und sein düsterer Blick ließ nicht von ihnen ab.
»Meine Nichte«, sagte Dr. Gretton, während sie geschickt den Deckel auf die Farbdose hämmerte. Sie stellte den Pinsel in ein Marmeladenglas, das stark nach Terpentin roch.
»Okay, wir können reden. Möchten Sie hier draußen sitzen?« Sie zeigte auf zwei Gartenstühle und zog beim Reden die Kittelschürze aus. Darunter trug sie eine leuchtend königsblaue Bluse; und sie hatte eine sehr gute
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