Warte, bis du schlaefst
setzten.
Ich hatte ihm noch nichts von meinem Besuch bei den Kramers erzählt, und als ich ihm jetzt davon berichtete, war ich überrascht, wie genau er sich an sie erinnerte. »Ich bin damals mit deinem Vater zu diesem Wohngebäude im West End gefahren«, sagte er. »Ich erinnere mich, dass die Frau in furchtbare Aufregung geriet bei dem Gedanken, dass Mack etwas zugestoßen sein könnte.«
»Erinnerst du dich auch, wie Gus Kramer darauf reagiert hat?«, fragte ich.
Wenn Onkel Dev seine Stirn nachdenklich in Falten legte, sah er meinem Vater plötzlich frappierend ähnlich. Manchmal hatte das etwas Tröstliches für mich. Manchmal tat es auch weh, so wie jetzt.
»Tja, Carolyn«, sagte er, »dieser Kramer ist ein ziemlich komischer Vogel. Ich hatte den Eindruck, dass er mehr befürchtete, wie viel Wirbel die Sache in den Medien machen würde, als dass er sich große Sorgen um Mack gemacht hätte.«
Das war genau derselbe Eindruck, den ich zehn Jahre später ebenfalls von Kramer hatte, doch da ich wusste, dass Devon sich bald auf den Weg machen musste, ging ich nicht weiter auf diesen Punkt ein. Stattdessen nahm ich den Kassettenrekorder, den ich in Macks Koffer gefunden hatte, aus meiner Schultertasche und erzählte ihm, wie ich ihn entdeckt hatte. Dann spielte ich ihm die Aufnahme vor. Ich beobachtete, wie mein Onkel traurig lächelte, als er Macks Stimme vernahm, und wie er erstaunt die Stirn runzelte, als die Stimmung umschlug und Mack zu rezitieren begann: »Wenn ich, zerfallen mit Geschick und Welt, als Ausgestoßner weinend mich beklage, umsonst mein Flehn zum tauben Himmel gellt.«
Nachdem ich den Rekorder abgeschaltet hatte, sagte mein Onkel sichtlich bewegt: »Es ist nur gut, dass deine Mutter nicht in der Nähe war, als du diese Kassette gefunden hast, Carolyn. Ich glaube, es wäre besser, ihr das nicht vorzuspielen.«
»Ich habe nicht die Absicht, sie das hören zu lassen. Aber ich denke die ganze Zeit darüber nach, was das zu bedeuten hat, Devon. Hat Mack je mit dir darüber gesprochen, dass er Privatunterricht bei einer Schauspiellehrerin an der Columbia University genommen hat?«
»Ich erinnere mich, dass er das einmal erwähnt hat, ohne viel Aufhebens davon zu machen. Weißt du, als Mack um die dreizehn war und sich der Stimmbruch ankündigte, hat er eine Zeit lang mit einer sehr hohen Piepsstimme gesprochen. In der Schule wurde er deswegen unbarmherzig gehänselt.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass Mack je eine Piepsstimme hatte«, protestierte ich, doch dann besann ich mich und suchte in meiner Erinnerung. Als Mack dreizehn war, war ich acht Jahre alt.
»Natürlich, später hat er seine tiefe Stimme bekommen, aber Mack war ein viel sensibleres Kind, als den meisten bewusst war. Er verbarg seine Gefühle, wenn er verletzt wurde, doch Jahre danach hat er mir einmal gestanden, wie schlecht es ihm in dieser Zeit gegangen ist.« Onkel Dev klopfte mit den Fingern an seinen Becher, während er seinen Erinnerungen nachhing. »Vielleicht war diese schmerzvolle Erfahrung mit ein Anlass, Schauspielunterricht zu nehmen. Auf der anderen Seite wollte Mack ja auch Anwalt vor Gericht werden, und zwar ein guter. Er sagte mir, ein guter Prozessanwalt müsse gleichzeitig ein guter Schauspieler sein. Das könnte eine Erklärung sowohl für den Unterricht sein, als auch für diese Passage, die er auf dem Band rezitiert.«
Ich musste einsehen, dass wir keine letztgültigen Schlussfolgerungen ziehen konnten. Ob Mack diese düstere Textstelle wegen seines damaligen Gemütszustands ausgewählt hatte oder ob er einfach nur einen vorbereiteten Text rezitierte, war nicht zu entscheiden. Genauso wenig würden wir je in Erfahrung bringen können, aus welchem Grund er die Aufnahme mittendrin abgebrochen oder ob er gar den Rest der Stunde mit der Schauspiellehrerin gelöscht hatte.
Um halb eins umarmte mich Onkel Devon zum Abschied und machte sich auf den Weg zu seinem Golfspiel. Ich fuhr zurück nach Sutton Place, froh, mich dort aufhalten zu können, da ich mich in meiner Wohnung im West Village nicht mehr wohlfühlte. Die Tatsache, dass ich direkt neben dem Haus von Leesey Andrews wohnte, schlug mir sehr aufs Gemüt. Wenn das nicht gewesen wäre, dachte ich, wäre Detective Barrott wohl nicht auf den Gedanken gekommen, eine Verbindung zwischen Mack und ihrem Verschwinden herzustellen.
Als Nächstes wollte ich mit Aaron Klein sprechen, dem Sohn von Macks Schauspiellehrerin. Kontakt mit ihm aufzunehmen, würde
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