Warten auf den Monsun
soll. Felix knotet die langen Schnürsenkel auf. Nun zeigt der Mann auch auf Peter, der als Arzt, nach den paar Wochen Ausbildung, bevor er an die Front mußte, direkt zum Hauptmann befördert worden war. Auch Peter bindet seine Stiefel auf. Dann schreit der Mann die drei anderen an. Alle binden ihre Stiefel auf. Keiner von ihnen hat sie in den letzten Wochen ausgezogen. Peter stellt seine Stiefel vor sich hin. Der Japaner gebietet ihm, sie ihm zuzuwerfen. Der durchdringende Schweißgeruch ist nicht so schlimm wie das Gefühl der Verletzbarkeit, das Peter überkommt, als er auf Socken dasteht. Mit seinen Stiefeln scheint er auch seine sonst immer optimistische Haltung zu verlieren. Auch die anderen werfen ihre Stiefel dem wütend gestikulierenden Japaner zu. Vor dessen Füßen liegt nun ein Haufen Soldatenstiefel. Er setzt sich auf den Boden und probiert sie an. Die Männer wissen, daß ihm keines der Paare passen wird.
Ein kleiner Zweig spießt sich durch seinen Socken. Peter hofft, daß der Mann nicht seine Stiefel nimmt. Und denkt gleich darauf, daß es hoffentlich nicht Felix trifft, denn wenn der keine Stiefel mehr hat, wird seine Wunde noch schlimmer werden.
Der Japaner läßt sich beim Anprobieren viel Zeit. Hin und wieder ruft er seinen Untergebenen etwas zu, die mit geladenen Gewehren warten. Als er das fünfte Stiefelpaar anprobiert hat, gibt er durch Zeichen zu verstehen, daß er auch ihre Socken will. Zuerst zweifeln die Männer, ein Paar Socken muß doch reichen, aber der Japaner besteht darauf, daß sie alle die Socken ausziehen. Barfuß fühlen sich die Soldaten noch unbehaglicher, eine Art kindlicher Scham befällt sie. Der kleine Japaner stopft ein paar Socken in die Spitzen eines Stiefelpaars und zieht es an. Zufrieden steht er auf, aber als er merkt, daß die Soldaten der britisch-indischen Armee erwartungsvoll auf die anderen Stiefel schauen, schreit er sie an. Die Männer begreifen nicht, was er meint. Felix macht Anstalten, seine Stiefel aus dem Haufen zu ziehen, doch das bringt ihm fast eine Kugel ein, also zieht er sich erschrocken zurück. Der kleine Japaner nimmt einen Socken und hält ein brennendes Streichholz daran. Der Socken fängt Feuer. Er wirft den brennenden Socken auf die anderen Strümpfe, die auch gleich auflodern. Es wird gebrüllt, daß sie sich in einer Reihe aufstellen sollen. Der Marsch beginnt. Vorbei an ihren alten treuen Stiefeln, die nicht brennen wollen, in den Urwald hinein. Es ist fast dunkel.
Der Boden schneidet, sticht, beißt, brennt, reißt auf, scheuert, saugt, glitscht, ritzt, behindert, kratzt, juckt, schürft, flutscht, stößt, schrammt, hakt und peinigt. Was von seinen Füßen übrig ist, kann er nicht sehen, er spürt nur einen tiefen Schnitt voller Schmutz unter dem linken Fuß, und er vermutet, daß sich der Nagel des rechten großen Zehs gelöst hat, beide Fußsohlen sind von Tausenden kleiner Stacheln durchbohrt, die an manchen Stellen auf dem Pfad liegen. Oder laufen sie gar nicht über einen Pfad? Ständig muß er herabhängende Zweige wegschieben, und er strauchelt über Wurzelstrünke. Wenn einer von ihnen langsamer wird, bekommt er einen Schlag mit dem Gewehrkolben. Peter fragt sich, warum sie losgegangen sind, als es Nacht wurde. Keiner hat eine Lampe, auch nicht die Japaner. In völliger Dunkelheit stolpern sie voran.
Die Geräusche des Urwalds werden übertönt durch die Schmerzenslaute der Männer. Auch Peter würde am liebsten weinen. Tränen lindern den Schmerz, weiß er aus Erfahrung, aber seine Tränen wollen nicht fließen. Felix, der hinter ihm geht, ist still. In der ersten Stunde hatte er bei jedem Schritt leise gestöhnt. Peter vermutet, daß der verwundete Offizier seine Schmerzgrenze so weit überschritten hat, daß er nun keine Schmerzen mehr verspürt. Zweige schlagen ihm ins Gesicht. Unter seinen Füßen glitscht ein Tier weg. Was mag es sein? Eine kleine Natter, die vor ihm genauso erschrickt wie er vor ihr, ein Blutegel, der nicht schnell genug ist, oder eine der Riesennacktschnecken, die hier überall zwischen den stachligen Wurzelzweigen hausen?
Als es hell wird und Peter sich umschaut, um sich zu vergewissern, daß Felix noch durchhält, ist der humpelnde Offizier nicht mehr da. Hinter ihm stolpert jetzt ein Japaner mit einem Gewehr und bildet den Schluß der Kolonne. Hat er Felix einen Schlag versetzt, weil er nicht schnell genug war? Warum hat er nicht gerufen? Peter macht sich Vorwürfe, daß er ihn nicht vor
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