Warten auf den Monsun
sich genommen hat, als sie sich in einer Reihe aufstellen mußten. Der Japaner sieht ihn mit teilnahmsloser Miene an. Ist der Mann zur Seite getreten, als Felix zusammenbrach, hat er ihn einfach liegen gelassen? Fragen zu stellen ist sinnlos, niemand wird antworten. Felix wurde tot oder lebendig allein im Urwald zurückgelassen. Er wird ihn nicht mehr wiedersehen.
Es war ein ganz besonderer Abend gewesen, als Felix ihm seine Geschichte erzählte. Der Vollmond leuchtete, und sie hatten an diesem Tag einen gut versteckten Schlafplatz gefunden. Sie lagen im Kreis und lutschten an den kleinen, sauren Beeren, die dort wuchsen. Felix hatte zum Mond geschaut und die andern gefragt, ob sie die Geschichte der Mondfrau kannten. Nein, hatte die Antwort einstimmig gelautet. Er hatte sich hingesetzt und mit unerwartet sanfter Stimme von einer Frau mit einem langen Zopf erzählt, die immer weiße Kleider trug. Bei jedem Satz des Offiziers wurde es Peter deutlicher, daß er von einer Frau redete, in die er verliebt war, aber die anzusprechen er nie gewagt hatte, obwohl sie im selben Dorf lebte. Aus seinem Fenster konnte er den Mond hinter ihrem Haus aufgehen sehen. Wenn der Himmelskörper rund und voll war, hängte sie immer ein blütenweißes Bettuch auf die Wäscheleine. Das im Wind flatternde Quadrat und die weiße, runde Kugel hatten ihn bezaubert. Aber er hatte nie die Chance bekommen, mit ihr auf diesem Laken zu liegen. Der Krieg hatte ihn gerufen und genommen. Niemand würde jemals wissen, wo er gestorben war, nicht einmal Peter, der wochenlang sein Knie verarztet hatte.
Er ist nicht stehengeblieben, keine Minute, der Durst, der seit Sonnenaufgang zunimmt, verlangsamt auch das Tempo ihrer Bewacher. Seine Füße sind, wie die der anderen Männer, rot angeschwollen und voller schwarzer Blutkrusten. Die Kolonne geht weiter, manchmal etwas schneller, wenn sie über etwas, das einem Pfad ähnelt, laufen, doch die meiste Zeit kommen sie nur sehr langsam voran. Wenn die Männer stürzen, rappeln sie sich so schnell es geht wieder auf. Beim Fallen und den vielen Schmerzensschreien haben sie eine Möglichkeit gefunden, sich zu verständigen. So wissen nun alle Männer, daß Felix verschwunden ist und daß der kleine Japaner seine Stiefel in den Rucksack gesteckt hat, wieder barfuß läuft und offenbar keine Probleme damit hat.
Sie stolpern in die zweite Nacht hinein. Warum die Japaner keine Ruhepause einlegen, ist ihnen ein Rätsel, sie sind genauso erschöpft wie sie, nur haben sie weniger Durst, weil sie alle eine Feldflasche dabeihaben, aus der sie manchmal trinken.
Die Gefangenen haben beim Hinfallen und Stöhnen einen Plan geschmiedet. Wenn es dunkel wird, wollen sie zuerst den Japaner ganz hinten überfallen. Dann schnappen sie sich gleichzeitig die beiden bewaffneten Männer in der Mitte, und mit den drei erbeuteten Gewehren schaffen sie sich die restlichen Feinde vom Hals. Peters Aufgabe ist es, den Japaner am Schluß der Kolonne unschädlich zu machen.
Das war zunächst sein eigener Plan, aber Peter hätte nicht gedacht, daß die anderen ernsthaft darauf eingehen würden. Er hatte sich den Plan mehr ausgedacht, um die allgemeine Stimmung etwas zu heben. Er sieht sich nach dem Mann um, der hinter ihm geht, kann ihn aber nur hören und nicht sehen. Hat der Mann vielleicht gar nicht mitbekommen, wie Felix gestürzt ist? Hat sich Felix vielleicht leise zur Seite wegrollen lassen, um ihnen nicht zur Last zu fallen?
Peter läßt sich fallen. Der Japaner stolpert nicht über ihn, wie er gehofft hatte, sondern versetzt ihm einen harten Tritt. Peter rappelt sich hoch, stöhnt, ohne eine Botschaft weiterzugeben, und könnte sich dafür an den Kopf schlagen, daß er sich einen so unsinnigen Plan ausgedacht hat.
Der Soldat vor ihm ächzt: »Passiert noch was?«
Peter will ihm gerade zustöhnen, daß es nicht klappt, als sie in ein menschenleeres Dorf hineinstolpern. Im Licht der Sterne sieht er ein paar verlassene Hütten, vor einer der Hütten steht ein Stuhl. Bevor er auch nur hoffen kann, daß sie sich hier ausruhen werden, wird ein aus Ästen zusamengeschustertes Tor beiseite geschoben, und sie werden in eine Umzäunung geführt. Zwei britische Soldaten sitzen dort auf dem Boden, der jüngere der beiden springt auf. Peter erkennt ihn sofort. Es ist Benjamin Parker aus Hull, sie saßen auf der langen Zugfahrt zur Grenze in einem Abteil. Der junge Bursche breitet die Arme aus, um ihn zu begrüßen, als ein Schuß
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