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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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abbezahlen muß, ist er nach Neu-Delhi gezogen, wo er tagsüber als Rikschafahrer arbeitet und abends in einer Fabrik putzt. Sita schaut Charlotte an und sagt: »Du bist schwanger.«
    In dem totenstillen Zimmer bricht in Charlottes Kopf ein dröhnender Lärm los, als ihr bewußt wird, was Sita gesagt hat. Daß in dieser ohrenbetäubenden Kakophonie ein kurzer Moment von eisiger Stille ist, in dem sie sich selbst zuruft, daß es nicht wahr ist, einfach nicht wahr sein kann, liegt ausschließlich an ihrer festen Überzeugung, daß sie niemals ein Kind bekommen würde. Langsam legt sie die Hände auf ihren leicht gewölbten Bauch.
    Sita schaut sie mit ihrem wie immer demütigen Blick an. Charlotte weiß, daß sie nun sagen sollte, wer der Vater ist. Der Geruch des Tabakrauchs brennt ihr in der Nase, ein süßer Geschmack kommt auf ihre Lippen zurück, sie erinnert sich an die Schwielen an seinen Fingerspitzen, die heftige Umarmung, die Kerze, die heruntergebrannt und erloschen war, den Ruf der Eule. Sie war nach Hause gegangen, als die Sonne aufging, und hatte im Garten einen riesigen Blumenstrauß gepflückt. Keine Vase war groß genug gewesen, sie hatte sie in den Waschkrug gestellt. Sie hatte ihren Morgentee getrunken und ihrem Bruder einen Brief geschrieben mit der inständigen Bitte, sie anzurufen, aber er hatte sich erst nach sechs Wochen gemeldet, als die Situation nicht mehr kritisch war und ihr Vater die Schwestern im Krankenhaus mit seinen Tiraden zur Raserei brachte. Daß ihre Menstruation ausgeblieben war, war ihr völlig entgangen, und die Übelkeit hatte sie darauf zurückgeführt, daß der Koch seit dem Unfall so konfus war.
    »Ich weiß nicht mal, wie er heißt«, ist das einzige, was sie sagt.
     
    ***
     
    Lieber Donald,
    mit Vater geht es aufwärts. Vor zwei Wochen haben sie ihn erneut operiert. Der Chirurg hält es für ein Wunder, daß er das alles überlebt hat. Seine Nieren arbeiten noch, darüber hatten sie sich sehr große Sorgen gemacht. Und auch die Leber hat nichts abbekommen. Er wird zwar nie wieder laufen können, aber das habe ich ihm immer noch nicht gesagt. Ich fürchte, wenn er es weiß, verliert er alle Kraft, die er braucht, um gesund zu werden. Peter hat immer gesagt, daß ein Patient viel schneller gesund wird, wenn er an eine Genesung glaubt. Die Krankenschwestern kümmern sich vorbildlich um ihn. Ich könnte es nicht besser. Er hängt noch immer am Tropf, und sie haben ihm ein neues Gipskorsett angelegt. Das macht es alles nicht leicht. Am schlimmsten für ihn ist, daß er aus einer Flasche mit einem Sauger trinken muß, den ihm die Schwester in den Mund steckt. Ich sehe immer zu, daß ich weg bin, bevor die Nuckelflasche kommt. Er wird dann ganz wütend und schimpft unflätig. Ich schreibe Dir auch, weil ich Dir erzählen möchte, daß ich für eine Weile aus Rampur weggehe. Die vergangenen Wochen haben ihren Tribut gefordert, und da Vater so gut versorgt wird, ist das möglich. Ich habe es natürlich erst mit dem Arzt besprochen. Der hatte großes Verständnis. Ich wollte schon mein ganzes Leben einmal den Himalaja sehen. Morgen fahre ich mit dem Zug nach Neu-Delhi, von dort aus weiter nach Kalka, wo ich ein Taxi nehme, das mich nach Simla bringt. Für den letzten Abschnitt in die Berge werde ich ein Auto mieten. Vater meinte zuerst, ich soll warten, bis er gesund ist, weil er mit will. Aber ich habe ihm versprochen, daß wir noch einmal reisen, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen wird. Ich habe dem Personal freigegeben, außer natürlich dem Mali und dem Butler. Sie werden dafür sorgen, daß alles sauber und ordentlich bleibt. Das Auto habe ich in eine Garage gebracht, wo es so lange stehen kann, wie ich möchte. Falls Du spontan Urlaub in Indien machen möchtest, kannst Du immer ins Haus. Hema hat alle Schlüssel, außer dem vom Tresor natürlich. Den habe ich bei der Bank deponiert. Aber ich nehme an, daß Du in Deiner neuen Anstellung zu beschäftigt bist. Geht es Dir gut? Ich hoffe es. Ich werde Dir aus den Bergen schreiben.
    Grüße von Deiner Schwester Charlotte

1951
Grand Palace
     
     
     
    Peter läuft mit großen Schritten die Treppe hinauf und zieht Charlotte mit sich, so froh ist er, den Maharadscha wiederzusehen. Charlotte ist aufgeregt, sie merkt, daß er wie verwandelt ist, als er seinen alten Freund sieht – seine Hände zittern nicht mehr, und er hat nicht mehr den düsteren, in sich gekehrten Blick. Er eilt zu der großen Tür, wo der Maharadscha ihn wie

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