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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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wendete den Kragen der Frau des Goldschmiedes und drückte mit dem Daumen die getrockneten Fresienblüten platt, bevor er den Stoff wieder unter die Nähmaschine schob. Er war fast fertig.
    Sie wird es verstehen.
    Er drehte das Rad der Maschine, und der Stoff duftete leicht.
    Sie weiß, daß es nicht geht.
    Er drehte fester am Rad, als für den Kragen gut war. Der Stoff schoß unter der Nadel durch, und ein Teil der Fresienblüten schob sich übereinander.
    Es ist die einzige Lösung.
    Er zog den Kragen unter der Nadel hervor und sah, daß er sich etwas beulte. Mit der Hand strich er grob über den Stoff, um ihn zu glätten.
    Nicht nur für mich, auch für sie.
    Madan verstrickte sich immer mehr in seine Gedanken und Gefühle. Er schob den Kragen wieder unters Füßchen und drehte das Rad mit einem harten Ruck. Die Nadel brach ab.
     
    Issy hatte einmal ihre Tante und zweimal den Butler in dem Zimmer im Obergeschoß verschwinden sehen und auch beobachtet, daß sie vorher die Tür aufschlossen mit dem Schlüssel, der daneben an der Wand hing. In dem Mädchen, das jahrelang zusammen mit seinem Vater Hercule-Poirot-Filme angeschaut hatte, erwachte der Detektiv. Sie wollte wissen, was sich in diesem Zimmer verbarg.
    Als sie die Dienstbotentür zufallen hörte, schlich sie auf Zehenspitzen die Treppe hinauf und nahm geräuschlos den Schlüssel vom Nagel. Sie kam sich vor wie in einem der Filme. Das Dekor war das gigantische, verfallene Kolonialhaus mit dem riesigen Kronleuchter, von dem Spinnweben im Lufthauch waberten, durch die abgedunkelten Dachfenster drangen zusammengedrückte Sonnenstrahlen herein, die ausgetretenen Treppenstufen glänzten von vielen Jahren Bohnerwachs, an den Wänden waren Flecke, wo früher Bilder gehangen hatten, und oben im Treppenflur stand die große Uhr. Issy spitzte die Ohren und hörte außer dem Summen der Nähmaschine keine Geräusche, die auf die Gegenwart anderer Menschen hindeuteten. Ganz vorsichtig drehte sie den Schlüssel im Schloß um. In den Geschichten von Agatha Christie lag in solchen Zimmern immer eine Leiche, ermordet mit einem antiken Brieföffner oder einer messerscharfen Ahle. Die Tür quietschte. Das Zimmer war wie der Rest des Hauses abgedunkelt, und es roch so wie auf der Toilette neben dem Fahrradkeller der Schule. Sie schob die Tür ein Stück weiter auf.
    »Ich schlafe.«
    Sie erschrak, sie hatte alles mögliche erwartet, aber nicht, eine Stimme zu hören. Sie dachte kurz an ihren Großvater, doch der würde nicht hinter Schloß und Riegel sitzen. Also gab es einen Gefangenen im Haus.
    »Verschwinde und mach die Tür zu.«
    Aber weil auch Poirot nie Befehlen folgte, schlüpfte sie doch hinein, schloß die Tür und blieb reglos stehen. Sie wagte nicht zu atmen. Sie nahm das kurzatmige Seufzen eines Mannes und das Geräusch des Ventilators wahr.
    »Ich will schlafen«, sagte er wieder, »verschwinde.«
    Issy blieb stocksteif stehen. Sie hörte, wie sich der Mann bewegte. Sein Atem ging nun schneller, und das Keuchen wurde lauter. Sie bereute es sofort, daß sie in dieses Zimmer getreten war – was, wenn der Mann nun auf sie zukam? Er war hier natürlich gefangen, weil er gefährlich war? Aber die Geräusche näherten sich nicht.
    »Hände hoch oder ich schieße.«
    Ihr stand das Herz still. Ihr erster Gedanke war: Ich werde ermordet. Der zweite Gedanke, und ihr Herzschlag setzte wieder ein: Das darf Papa nie erfahren. Denn ihr Vater hatte sie, beim Abschied auf dem Flughafen, beiseite genommen und mit sehr ernsthafter Stimme gesagt, er hoffe darauf vertrauen zu können, daß sie sich nicht in gefährliche Situationen begeben werde. »Fahr nach Rampur, da ist es sicher.« Issy spürte, daß der Gefangene eine Waffe mit Nachtsichtgerät auf sie gerichtet hielt. Sie nahm die Hände hoch und bewegte sich ansonsten keinen Zentimeter. Sie hörte es klicken, ein Geräusch, das sie aus Filmen kannte, wenn der Abzug entsichert wurde.
    »Ich ergebe mich«, stammelte sie.
    »Mach das Licht an«, blaffte der Mann.
    Issy hatte keine Ahnung, wo sich der Lichtschalter befand, aber strich mit der Hand vorsichtig über die Wand neben der Tür. Sie hatte solche Angst, daß sie sich nicht einmal gewundert hätte, wenn sie plötzlich von einer Schlange gebissen worden wäre.
    »Wird’s bald?«
    »Ich kann den Lichtschalter nicht finden.«
    »Neben der Tür.«
    Im selben Moment hatte ihre Hand den Schalter gefunden, und sie machte das Licht an. Sie hatte sich vorgestellt, daß der

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