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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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Mißhandlung verdächtigt hatte, kniete neben dem alten Mann und trocknete ihm liebevoll die Füße. »Er vergißt manchmal, daß er nicht laufen kann«, sagte Charlotte leise, weil sie den Blick spürte, der in ihren Rücken stach.
    »Ich dachte …« Issy suchte nach Worten.
    Charlotte wußte, was ihre Nichte dachte, und wollte es nicht hören. Derweil schwor sich Issy, ihrer Tante niemals zu erzählen, daß sie drauf und dran gewesen war, die Polizei zu holen, um ihren Opa zu befreien.
    »Geh schon mal runter, ich komme gleich«, sagte Charlotte leise.
    Issy war froh, daß sie das muffige, beklemmende Zimmer verlassen konnte. Im Treppenhaus brachten der Kronleuchter mit den Spinnweben und das Ticken der Uhr sie in die Gegenwart zurück. Sie blickte auf die alte Uhr und erinnerte sich an die Weihnachtsabende, an denen ihr Vater ihr die Geschichte von ihren Urgroßeltern erzählt hatte, die mit der Uhr auf einem Tandem im Schneesturm über den Himalaja gezogen waren. Zum ersten Mal glaubte sie die Geschichte, von der ihre Mutter immer gesagt hatte, ihr Vater habe sie sich nur ausgedacht.
     
    Charlotte fiel auf, daß ihr Vater mit einemmal anders atmete. Statt des rebellischen Pfeifens nahm sie den Klang wehmütiger Verlorenheit wahr. Sie sah ihm ins Gesicht und merkte, daß er ihre Bewegungen mit traurigem Blick verfolgte. »Darf ich dich was fragen?«
    Der General nickte und nahm den Sauger aus dem Mund.
    »Weißt du, wer ich bin?«
    »Ja.«
    »Wer denn?«
    »Du glaubst mir nie.«
    »Manchmal ist es schwierig.«
    »Hattest du die Uhr?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Weil wir überhaupt kein Geld mehr haben.«
    »Und was ist mit unseren Pensionen?«
    »Die machen nicht mehr viel her.«
    »Das Sparbuch?«
    »Leer.«
    »Das Kästchen im Geheimfach von meinem Schreibtisch.«
    »Alle.«
    »Der Lampenschirm von Peter.«
    »Verkauft.«
    »Alle Steine?«
    »Ja.«
    Vater und Tochter sahen sich an. Es war ungewiß, wie lange der lichte Moment anhalten würde, aber Charlotte wußte eines: Sie mußte jetzt blitzschnell handeln.
    »Wir besitzen nur noch das Haus, die Standuhr und deine Armbanduhr.«
    »Dann müssen wir das Haus verkaufen. Es ist sowieso ein elender Klotz, immer viel zu warm, und andauernd fällt der Strom aus.«
    Charlotte war daran gewöhnt, daß er sehr schnell wieder wegglitt in die unbegreifbare Welt, zu der sie keinen Zutritt hatte, also zog sie die Schreibtischlade auf und nahm einen Bogen Papier heraus.
    »Es stinkt, und ich denke, in den Balken ist der Hausschwamm, und nachts höre ich Käfer im Holz nagen, die Tapeten fallen von den Wänden, die Wasserleitungen pfeifen, und es ist ein Wunder, daß ich noch nicht durch den Fußboden gebrochen bin.«
    Sie legte das Blatt Papier zusammen mit einem stabilen Buch als Unterlage auf seinen Schoß. Während er fortfuhr, das Haus sich selbst und ihr madig zu machen, drückte sie ihm einen Kugelschreiber in die Hand. »Vater, wenn du hier unterschreibst, kann ich das Haus verkaufen, und ich sorge dann auch dafür, daß du ein besseres Zimmer bekommst.«
    Der General blickte von dem Papier zu seiner Tochter.
    Charlotte spürte, wie ihr die Schweißtropfen über den Rücken liefen. So weit war sie noch nie gekommen. Das letzte Mal hatte er, als er die Vollmacht in der Hand hielt, einen Wutanfall bekommen und sie der Verschwörung mit den Japanern bezichtigt, das Mal davor hatte er nur geweint und geschluchzt, daß sie ihn nicht mehr gern habe, einmal hatte er sie verwünscht und den Kuli entzweigebrochen, oder er war eingeschlafen, und als er wieder aufwachte, hatten die Hirngespinste und Wahnvorstellungen wieder Besitz von ihm ergriffen.
    Langsam und bedächtig las er sich den Text durch. Charlotte wußte, daß sie ihn nicht antreiben durfte, die kleinste Störung seiner Konzentration könnte dazu führen, daß seine Gedanken wieder in unberechenbare Gefilde abdrifteten. Sie stand reglos neben ihm. Der Schweiß lief ihr in Strömen über den Körper, brannte ihr in den Augen und kitzelte sie im Nacken. Sie blickte auf ihren Vater, auf das Blatt Papier in seiner Hand, seine leblosen Beine, die zerbeulte Bettschüssel auf dem Boden, den Kleiderschrank mit der abgeblätterten Farbe und die mottenzerfressenen Tierköpfe an der Wand.
    Er hüstelte und sagte mit leiser Stimme: »Das hast du gut aufgesetzt. Wo soll ich unterschreiben?«
    Sie zeigte mit dem Finger auf die Stelle unter dem Text.
    »Zieh die Sache schnell durch, sonst ist die Bruchbude gar nichts mehr wert«,

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