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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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zwischen deren Rockfalten gesucht und meist nicht gefunden, ihren Flügel verkauft und nur noch im Geiste gespielt, ihren Mann neben ihrer Mutter begraben, ihrem Bruder jahrelang geschrieben, ohne jemals eine Antwort zu bekommen, alle Lasten auf ihre Schultern genommen, ohne auch nur einmal ein Dankeschön zu hören, sich übers Ohr hauen lassen von Händlern, die wußten, daß sie in der Klemme saß, sich das endlose Getratsche der Frau von Nikhil Nair angehört, um nicht allein sein zu müssen, einen Haushalt ohne genügend Dienstboten geführt, ihre Jugend an einen Mann verloren, der durch den Krieg verwundet war, alle Einladungen ausgeschlagen, denn eine Frau ging nicht allein auf Partys, und als sie endlich einmal zu einem Fest ging, war sie schwanger geworden, hatte ihr Kind in einem feuchtkalten Kloster im Himalaja zur Welt gebracht, damit niemand davon erfuhr, hatte einen Sohn, der nicht wußte, daß sie seine Mutter war, hatte jahrelang jeden Montagnachmittag als liebe und immer frohgelaunte Tante mit ihm gespielt, nie weinen dürfen, denn eine Bridgwater weint nicht, gehungert, damit andere essen konnten, tausendmal den Teppich auf- und ausgerollt, damit er nicht abgenutzt wurde und an Wert verlor, ihren Vater versorgt, weil er alle Krankenschwestern in den Wahnsinn trieb, einen Teil ihrer Witwenrente verloren, weil niemand ihr gesagt hatte, daß die Pension eingefroren würde, wenn sie ihre britische Staatsbürgerschaft aufgab, keine Liebe kennengelernt, war sie dafür der Gegenstand von Tratsch und übler Nachrede geworden, jedesmal in der Hitze zum Club geradelt, hatte sie dafür das Rauchen aufgegeben, weil die Ansicht herrschte, eine Frau rauche nicht, sich verliebt in unmögliche, unerreichbare Männer, hatte sie dafür gelogen, um gelobt zu werden, heimlich in Zimmer gelinst, weil sie sich nicht traute, hineinzugehen, sich endlose Beschimpfungen angehört und versucht, nicht verletzt zu sein, ihren eigenen Vater bestohlen, weil er sie nicht mehr verstand, ohne Murren Gäste bewirtet, die sie nicht eingeladen hatte? Hatte sie dafür das Gefühl ertragen, von allen vergessen zu sein?
    »Nein«, sagte sie. »Der rote Stoff ist für mein Kleid.«

1977
Haidarabad
     
     
     
    Es regnet unaufhörlich. Madan mag Regen nicht. Die Leute laufen eilig vorbei und geben nichts. Er hat in den letzten Jahren immer besser zu betteln gelernt, doch er bezeichnet sich selbst nicht als Bettler, sondern als Schneider, denn das Geld, das er nicht braucht, um sich etwas zu essen zu kaufen, legt er beiseite, damit er sich irgendwann eine Nähmaschine anschaffen kann. Ob ihm das jemals gelingt, darüber will er nicht nachdenken, jeden Morgen steht er mit dem Gedanken auf, daß er an diesem Tag vielleicht Glück hat. Eine neue Spule hat er sich schließlich schon zusammengebettelt.
    Ein Regenschirm wird über die Straße geweht, wahrscheinlich hat der Sturm ihn jemandem aus der Hand geschlagen – er kann ihn gerade noch fangen. Solange niemand den Schirm sucht, hält er ihn sich über den Kopf. Eigentlich müßte er sich irgendwo unterstellen, denn es schüttet wie aus Eimern. Das Wasser sucht sich strudelnd einen Weg zu den Gullys, die durch den mitgerissenen Abfall verstopfen. Madan überquert die Straße. Das Wasser steht ihm bis zu den Knöcheln. Er merkt, daß ihm die Slipper von den Füßen gezogen werden, er erwischt sie aber zum Glück noch. Barfuß watet er weiter.
    Die Geldscheine, die er in all den Jahren gesammelt hat, sind sicher in drei kleinen Plastiktüten verstaut, die er sich in einem Tuch um den Bauch gebunden hat. Dort bewahrt er auch den Zettel auf, auf dem steht, daß er Arbeit sucht, und die zusammengeklebten Schnipsel mit der Adresse von Dr. Krishna Kumar. Nicht, daß er jemals dorthin zurückkehren würde, aber er kann den Zettel auch nicht wegwerfen. Es ist eines der wenigen Dinge von früher, die er besitzt.
    Er biegt in die Gasse ein, in der er seit einer Weile schläft, aber das Wasser reicht ihm hier bis zu den Knien. Die Stücke Pappkarton, die ihm als Bett dienten, sind verschwunden. Eine starke Böe reißt ihm den Schirm aus der Hand und trägt ihn weg. Er sieht ihm nicht hinterher, denn der Regen peitscht ihm ins Gesicht. Er will sich in das Haus flüchten, in dem er sich manchmal waschen durfte, doch die Tür ist mit Sandsäcken verbarrikadiert. Der Regen tut weh, und der Wind, der noch heftiger wird, wirft ihn fast um. Ich muss einen Unterschlupf finden , denkt er. Er hat Angst vor dem

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