Warten auf den Monsun
seine Töpfe und Schüsseln nicht angerührt. Sie sah ihn in die Küche gehen und erwartete, daß er jeden Moment griesgrämig herauskommen würde, aber statt dessen erschien er mit dem Stapel Töpfen und den beiden giftgrünen Plastikeimern und stellte alle Gefäße in einem großen Kreis um das Küchenhaus auf.
Wo er sie aufgetrieben hatte, war Charlotte ein Rätsel, sie hätte nie gedacht, daß es im Haus noch so viele Sachen gab, mit denen man Wasser auffangen konnte – aber nach einer Stunde standen überall Schüsseln aus Plastik und Steingut, heile und kaputte Wannen, intakte und durchlöcherte Eimer, alle Kochtöpfe, sogar der Lieblingstopf und der Frittiertopf von Hema, den niemand auch nur anfassen durfte, die Schalen und Vasen aus dem Salon, die noch nicht verkauft waren, Plastikbehälter, in denen früher einmal Pflanzen gewesen waren, die Obstschale, zwei Gießkannen, die wie Trophäen neben der Haustür standen, ein Aquarium mit einer gesprungenen Scheibe, ein Seifennapf, ein Kreis aus Weingläsern um den Apfelbaum, ein Trinkkelch, den vorher noch keiner gesehen hatte, Aschenbecher, alte Marmeladengläser, Blechbüchsen, die Nägel enthalten hatten, und eine Zwiebackdose, die schon seit Monaten leer war, eine Sammlung verrosteter Kohlenschütten, die noch nie in Gebrauch gewesen waren, ein Mörser aus Aluminium, ein roter, von außen bestickter Papierkorb, die orangefarbene Tonne, in der der Mali seine Unkrautvernichtungsmittel aufbewahrt hatte, und seine Schubkarre, ein Abtropfsieb, in dem ein Stück Plastik lag, der Futtertrog einer Ziege, die irgendwann einmal auf dem Gelände gelebt hatte, die Mülleimer am Anfang des Pfades, der Ascheneimer ohne Asche, alle Becher, Tassen und Schüsseln, auch die mit Mickey Maus darauf, die große Tasse ohne Henkel, in der sonst Charlottes Zahnbürste stand, ein Satz Schnapsgläser, bei denen jeder Händler abgewunken hatte, eine kaputte Kloschüssel … Charlotte fand letzteres etwas übertrieben, aber Hema und Madan waren davon überzeugt: je mehr, desto besser. Also stellte sie auch die zusammengeklebte Teekanne vor die Tür.
Sie verschnauften gerade, als Issy noch immer schimpfend nach draußen kam; die Kabel, mit denen sie den ganzen Abend gekämpft hatte, zog sie hinter sich her. »Was macht ihr denn da?«
»Wir haben die Eimer rausgestellt.«
»Warum?«
Charlotte, die sich auf einmal furchtbar lächerlich vorkam gegenüber ihrer Nichte aus England, weil sie sich von dem albernen indischen Volksglauben hatte anstecken lassen, wurde rot.
»Um den Regen anzulocken!« rief Hema.
Issy nickte ernst, und ihr Blick wanderte wieder über das bunte Durcheinander. Sie rannte ins Haus und kam kurz darauf mit dem Topf ihres Großvaters wieder. »Er hat doch eine Windel um«, sagte sie, als sie die erschrockenen Gesichter sah.
1977
Haidarabad
An demselben Tag, an dem der Sturzregen niederprasselte und sich der Wind zu einem Zyklon steigerte, der mit zerstörender Kraft über das Krishna-Delta hinwegraste, Dörfer und Ansiedlungen verschlang, Menschen in die wirbelnden Fluten riß, Ernten vernichtete, zehntausend Menschen verschwinden ließ oder tötete und dreieinhalb Millionen obdachlos machte, findet Madan zum ersten Mal im Leben ein Zuhause.
In das winzige Zimmer passen genau zwei kleine Tische – an dem einen arbeitet Herr Patel wieder an seiner Dissertation über einheimische Stadtpflanzen, an dem anderen sitzt Madan vor einer uralten Singer-Handnähmaschine, die er sich dank der Hilfe von Herrn Patel kaufen konnte. Auf das Wandbord hat er neben die Bücherstapel von Herrn Patel eine Schachtel mit Nähgarn gestellt, und wenn die Tür offensteht, ist auf dem Boden gerade genug Platz, ein Kleidungsstück auszubreiten oder einen Stoff zuzuschneiden. Madan fegt das Zimmer dreimal am Tag, und Herr Patel kocht das Essen. Obwohl nichts so ist wie in der Werkstatt von Dr. Krishna Kumar, ist es für Madan der schönste und angenehmste Arbeitsplatz, den er je hatte.
Die beiden Männer gehen ganz in ihrer Arbeit auf. Herr Patel genießt das surrende Geräusch der Nähmaschine, das ihn zu lauter neuen Erkenntnissen inspiriert, und Madan mag die Grübelseufzer, die Herr Patel beim Schreiben ausstößt, weil er dabei vor sich hinträumen und sich in Welten versetzen kann, in denen er noch nie war. Abends stellen sie die beiden Tische aufeinander vor die Wand, obenauf noch die Schemel, rollen ihre Matten aus und schlafen unter dem Möbelturm wieder so
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