Warten auf den Monsun
sie dir schon weiter.«
Madan stand auf, verabschiedete sich mit der gebräuchlichen leichten Verbeugung, die Hände vor der Brust zusammengelegt, und ging.
Die Handnähmaschine, eine schwere, schwarze Singer, stand auf dem Tisch mitten im Zimmer. Eine große Schere und ein Stück Schneiderkreide lagen daneben. Auch das Fläschchen Maschinenöl, mit dem der Darsi den ganzen Vormittag hantiert hatte. Neben der Schlafmatte stand eine Tasche mit Kleidungsstücken. Hema stand beim Bügelbrett und schaute sich in dem sonst leeren Zimmer um. Der Mann hatte noch kein Wort gesprochen, auf Fragen nur genickt oder den Kopf geschüttelt. Hema hatte gehofft, daß nun, wo er nicht mehr allein war, etwas von der alten Atmosphäre ins Küchenhaus zurückkehren würde. Aber in der Gesellschaft des Darsi, dessen Namen er nicht einmal wußte, fühlte er sich unbehaglich. Nicht etwa, daß ihm der Schneider feindlich gesinnt war. Im Gegenteil, er war sehr freundlich und lächelte die ganze Zeit. Aber Hema liebte es, Geschichten und Tratsch aus anderen Städten und Dörfern zu hören.
Es klingelte. Schnell drückte Hema seine Beedie aus, ein kleines Laster, das Memsahib nicht gefiel, nahm das Schälchen Joghurt und eilte ins große Haus.
Madan drückte auf die Klingel neben der roten Tür. Ein Diener in Livree öffnete. Er übergab ihm seine Karte. Der Mann las sie, blickte ihn verwundert an und ließ ihn ein. Die Halle stand voll mit antiken Möbeln, auf denen überall rosa Kissen lagen. Madan wartete an der Tür, während der Diener hinter einem großen, von einer Galerie herabhängenden Teppich verschwand. In dem Haus war es herrlich kühl. Auf einem kleinen Tisch neben der Tür stand eine silberne Vase mit ein paar Blumen, daneben ein Kerzenleuchter, auch aus Silber. Im oberen Stockwerk hörte er Schritte. Neben dem Kerzenleuchter lag ein silberner Kamm. Madans Blick war von den zur Schau gestellten Kostbarkeiten gefesselt. Er steckte die Hand tief in die Tasche und zwang sich, in eine andere Richtung zu schauen. Eine mollige Frau in einem pinkfarbenen Morgenrock kam in die Halle, in der Hand seine Karte. Ihr Blick glitt von ihm zu seiner Karte, dann wieder zu ihm.
»Kannst du hören?« fragte sie zögernd, aber laut.
Madan nickte.
»Oh, ein Glück.« Sie ging in einen Flur und sagte: »Folge mir.«
Das Zimmer, in das sie traten, war groß und noch kühler als die Halle. Auf dem Tisch lag eine Bahn rosafarbener Chinaseide.
»Daraus möchte ich ein amerikanisches Abendkleid«, sagte die Frau von Nikhil Nair mit lauter Stimme.
Madan ließ den Stoff verzückt durch seine Hände gleiten.
Charlotte füllte den leeren Platz im Büfett, den der Verkauf ihres Service hinterlassen hatte, mit den ungelesenen Büchern von Pfarrer Das. Sie schüttelte irritiert den Kopf. Was sie auch versuchte, ob sie den Schrank aufräumte, Tee trank, ihre Schulden zusammenrechnete, an den Monsun dachte, der überfällig war, oder an ihren Vater, immer wieder landeten ihre Gedanken bei dem schweigsamen Schneider. Das Telefon klingelte, und Witwe Singh fragte, wann der Darsi zu ihr käme, weil sie zum Mahjong-Spielen in den Club wolle. Sie hatte noch nicht aufgelegt, da wurde die Frau des Polizeikommandanten angemeldet und trat mit einem Bügelbrett ins Zimmer. Sie ließ ihre neugierigen Blicke durch den Raum schweifen. Charlotte sagte ihr, daß schon ein Bügelbrett vorhanden sei und daß der Schneider gerade seine Runde mache, um bei allen die Maße zu nehmen.
»Auch bei mir?« rief die Frau des Polizeikommandanten und eilte zu ihrem Auto.
Charlotte hatte kaum die Tür geschlossen, da klingelte schon wieder das Telefon.
»Was für ein seltsamer Mann«, sagte die Frau von Nikhil Nair. »Aber gut, daß er normal hören kann.«
»Wie meinst du das?« fragte Charlotte.
»Na, weil er stumm ist.«
»Stumm?«
»Ja, hast du das nicht gewußt?«
»Nein«, sagte Charlotte erstaunt.
»Es steht doch auf seiner Karte, Mukka bedeutet »der Stumme«, aber hören kann er, hast du gesehen, wie er den Stoff anfaßt, ich hab so was noch nie gesehen, es heißt ja, daß Blinde besondere Sinnesorgane haben, vielleicht hat er das auch, hoffentlich kann er auch wirklich nähen, der Stoff war nämlich teuer, du behältst ihn doch ein bißchen im Auge, nicht wahr, er scheint ein anständiger Kerl zu sein, aber man weiß ja nie, und weil schon ein halber Meter fehlt …«
Er kann nicht sprechen , echote es durch Charlottes Kopf. Wie dumm, daß sie daran
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