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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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Hauswände Risse hatten. Er zog an der Klingel und hörte, wie drinnen die Türglocke ging. Madan mochte Klingeln und geschlossene Türen, auch das gab ihm ein Gefühl von Sicherheit. Er wußte, daß irgendwo im Haus nun ein Diener aus einem Traum aufwachen und sich wundern würde, warum es zu dieser Stunde läutete. Es würde einen Moment dauern, bis ihm klar war, daß es die Haustürklingel war, also zog Madan noch einmal, um dem anderen aus seinem Traum zu helfen. Nach einer Weile hörte er schlurfende Schritte, und die Tür wurde geöffnet.
    Er erschrak. Vor ihm stand eine kleine weiße Frau mit ergrauenden Locken, ihre Augen blinzelten ins Licht, sie war barfuß und offenbar aus einem tiefen Schlaf aufgewacht. Sie war schön und wirkte zerbrechlich, fast wie aus Glas. Sie machte eine einladende Handbewegung und sagte, er solle schnell hereinkommen.
    Madan war noch nie im Haus von Weißen gewesen und wußte nicht recht, wie er sich verhalten sollte, aber die Frau machte schon Anstalten, die Tür zu schließen, also trat er über die Schwelle und sah zu Boden.
     
    Langsam tauchte zwischen den Lichtflecken in ihren Augen ein Inder auf, er mußte um die vierzig sein, und seine Haare standen nach allen Seiten ab. Er hatte Schweiß auf der Stirn, und Straßenstaub klebte in seinem Gesicht. Er trug ein prachtvolles grünes Hemd. In nichts ähnelte er einem Bankangestellten oder Gerichtsvollzieher. Sie erwartete zu dieser Tageszeit auch keinen profitgierigen Altwarenhändler, und er trug keinen Korb mit Obst oder anderen Waren bei sich, die er an den Mann bringen wollte. Er war sicher kein Diener oder Kuli einer der Damen aus dem Club, denn die waren immer einfach gekleidet und klingelten nie am Haupteingang. Mit der rechten Hand hielt er die linke Hand fest und starrte verlegen auf seine Schuhe.
    »Bist du vielleicht der Schneider?« fragte sie spontan.
    Madan nickte, den Blick noch immer schüchtern gesenkt.
    »Hier bist du falsch«, sagte sie mit heller Stimme, »im Küchenhaus ist ein Zimmer für dich hergerichtet.«
    Madan konnte zwar Englisch, aber die Frau sprach viel zu schnell, so daß er nur das Wort »Schneider« verstanden hatte. Durch die marmorgetäfelte Eingangshalle ging sie zu einer kleinen Tür neben der Treppe, öffnete sie und winkte ihm. Er folgte ihr zu einer Tür, die nach draußen führte. Am Ende des kleinen Flurs schien die grelle Sonne durch ein Fenster. Madan sah durch die luftige Kleidung die weiblichen Konturen ihres Körpers. Er blickte rasch wieder zu Boden und fühlte sich ertappt. Die Frau drückte die gläserne Zwischentür auf und ging in eine kleine Diele, wo ein Eimer und ein Besen standen.
    »Hema!« rief sie in Richtung eines Häuschens, das er nicht gesehen hatte, als er den Hügel hinaufgefahren war.
     
    Auch Hema wurde unsanft aus dem Mittagsschlaf gerissen. Er war auf einem Hochzeitsfest und wollte gerade in eine knusprige Pastete beißen. Als er die Stimme der Memsahib hörte, fuhr er hoch. Seine alten Knochen knarzten. Er rappelte sich von seiner Matte auf und ging zur Tür. Draußen sah er sie neben einem Mann hergehen. Der Mann ging mit federndem Schritt und trug ein prachtvolles grünes Hemd und eine weiße Hose. Wer war das? Er kannte ihn nicht. Es war kein Mann von der Bank, denn die kannte er inzwischen alle. Hema bekam es plötzlich mit der Angst zu tun, es war sicher ein neuer Altwarenhändler, Memsahib wollte den Ofen verkaufen, und er müßte künftig immer auf Kohlen kochen, oder, schlimmer noch, der Mann kaufte das ganze Haus …
    Sie traten in die Küche. »Das ist der Schneider. Zeigst du ihm sein Zimmer?«
    Dieser Mann war überhaupt kein Schneider. Sanat, der alte Darsi, und der Darsi aus seinem Heimatdorf trugen nicht solche schönen Kleider und hatten einen anderen Gang. Auch die Bewegungen seiner Hände waren seltsam, es sah so aus, als wolle er ständig etwas glattstreichen. Hema fühlte sich unbehaglich.
    »Willkommen«, sagte er ausgesprochen freundlich in der Sprache der Gegend und öffnete die Tür.

1947
Neu-Delhi
     
     
     
    Es ist stickig im Wohnzimmer und viel wärmer, als es in ihrer Erinnerung früher in dem großen Haus auf dem Hügel war. Peter, von einem anstrengenden Vormittag im Krankenhaus zurück, hält wie jeden Tag nach dem Lunch und der Zeitungslektüre ein Nickerchen auf dem Sofa beim Fenster. Für Charlotte ist ein Mittagsschlaf etwas für alte Leute, sie sitzt in dieser Zeit meist auf der Veranda und liest ein Buch. Aber heute

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