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Warum aendert sich alles

Titel: Warum aendert sich alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Brandt
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es heißen: »Die Welt war alles, was der Fall war«? »Die Welt wird alles sein, was der Fall sein wird«? Und wie steht es mit dem, was nicht war, nicht ist oder nicht sein wird, die ausgefallene Theateraufführung etwa? Ein Fakt, daß sie ausfiel; sie fehlt auffällig in der von uns erkannten Welt, es gab sie tatsächlich nicht und sie war und ist folglich nicht, was der Fall ist oder war. Ist es nicht der Fall, daß Beethoven und Mozart Gambenmusik komponierten, oder ist es der Fall, daß sie keine Gambenmusik komponierten? Gehören beide Fälle zur Welt oder nur einer (und damit auch der andere)? Die erkannte Welt ist, so erkennen wir jetzt, sicher mehr als alles, was der Fall war, ist und sein wird, sie ist auch das, was sie nicht war, nicht ist und nicht sein wird. Weiter: Gehören diese unsere Weltgedanken jetzt zur Welt und zu allem, was der Fall ist? Und sind die Halbgedanken, Träume und Wünsche Anwärter auf das Welt- und Fallsein? Die Atmosphäre im Haus meiner Großeltern? Nur ich spürte sie so, meine ich. Oder sollte es besser heißen: »Die Außenwelt ist alles, was positiv der Fall ist«? Schatten eingeschlossen? Auch Unkenntnis, die sich auswirkt? – Die Negation kommt nach Wittgenstein erst durch falsche Sätze zustande; falsche Sätze gehören somit nicht zur Welt, sind nicht der Fall. Der vielleicht falsche Satz-Einfall: »Die Welt ist alles, was der Fall ist«, ist dann nicht etwas, das der Fall ist, und sollte aus der Welt gestrichen werden. Aber ist das noch möglich, nachdem er zu einem spektakulären Ereignis dieser Welt wurde und jeder vorgibt, ihm zuzustimmen, nein, ihm zustimmt? Das Seiende muß ein wenig zusammenrücken, um dem Satz Platz zu machen. Schon durch diesen unseren Gedanken ist er der Fall. Ist das Unding dieses Satzes jedes Mal der Fall, wenn jemand ihn denkt? Fragen über Fragen, und es ist der Fall, daß sie vielleicht noch nicht geklärt sind. Etwa: Es ist gut möglich, daß es mehrere Welten gibt. Muß es dann heißen: »Die möglichen und wirklichen Welten sind alles, was wirklich oder möglicherweise der Fall ist«?
    Gehört also zu allem, was der Fall ist, auch die Welt des Konjunktivs und des Optativs, zählen die unendlichen möglichen Welten von Leibniz dazu, die den kleinen Defekt haben, nur nicht die beste zu sein? Es ist der Fall, daß Leibniz an sie dachte, und so wollen wir sie auch fairerweise zur Welt zählen. Sie kommen in unserer Erfahrung nicht vor, aber diese Bedingung hatte Wittgenstein auch nicht gestellt.
    Asylanten dieser Welt, die es gibt und nicht gibt: Die Schulden und der Phantomschmerz. Ohne Geld, das die Wirtschaft nicht hat, sondern borgt, ist die neuzeitliche Gesellschaft nicht denkbar. Der Nichtbesitz treibt mit seiner unerbittlichen Drohung der Enteignung – entweder es werden die Zinsen gezahlt oder die ganze Sache fliegt auf – die Tätigkeit der Menschen voran; ohne geregelte Schulden und Zinsen würde die Menschheit vermutlich noch am Euphrat oder auch im Mittelalter vor sich hin dösen. Von ähnlicher Wucht und Mächtigkeit ist der zutiefst gefühlte, höchst reale Schmerz in einem Bein, das längst amputiert ist. Wer den Weltbestand überprüft und nachsieht und -tastet, stellt fest, daß dieses Bein nicht mehr der Fall ist. Aber wie ist der Schmerz möglich, der sich auf das Nichtbein bezieht, unbelehrbar und von grotesker Falschheit? Ist dieser falsche Schmerz in Wittgensteins Welt ein Fall wie so vieles andere? Natürlich, hereinspaziert, alle Schulden und Schmerzen, es gibt noch Platz, in diesem Fall. Wo ist der Irrtum?
Sprachwogen
    Das Deutsche ist durch drei große Sprachinvasionen über- formt, verarmt und bereichert worden, die eine gewisse innere Logik zeigen. Die erste fruchtbare Durchdringung brachte die politische und religiöse Vorrangstellung des Lateinischen. Hauptträger war die Geistlichkeit , die verhinderte, daß der gemeine Mensch die Heilige Schrift in einer Übersetzung lesen konnte. Der große Sprachrebell gegen die Fremdverwaltung der religiösen Gesinnung war Martin Luther. Die zweiteWoge, die des Französischen, wurde nicht durch die Geistlichkeit, sondern den Adel favorisiert; dank der Distinktionsbedürfnisse der Aristokratie mußten selbst Bürgerliche um 1900 nicht auf dem Bahnsteig, sondern auf dem Perron auf den pünktlichen Zug warten;

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