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Warum aendert sich alles

Titel: Warum aendert sich alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Brandt
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tausend kleine Usancen stifteten die Distinktion gegen die Domestiken. Es waren die deutschen Sprachgesellschaften des 18. Jahrhunderts, die gegen die französischen Höflinge ein reines Deutsch zu bewahren suchten. Die dritte Invasion wird vom tiers état , dem dritten Stand, lanciert. Es ist die des Englischen, von populärer Musik, Kommerz und Internet. Hier sucht das Deutsche Kontakt mit der Leitnation der neueren bürgerlichen Gesellschaft, den Vereinigten Staaten, die von 1776 bis 2001 die Fackel der Freiheit und Gleichheit im Weltlauf vorantrugen. Lohnt es sich, gegen die sprachliche Anglomanie Widerstand zu leisten, z. B. auf wissenschaftlichen Kongressen mit deutschen Kollegen beim Frühstück einfach deutsch zu reden? Ins Institut gehen statt ins »Department«? Nein, auch die dritte Woge verebbt von selbst.
Old Charlie
    Haben wir denn geschichtsphilosophisch geträumt? War es umgekehrt so, daß 1990 der Osten den Westen vereinnahmte? Daß wir endlich die Planwirtschaft einführen? Alle Macht der Verwaltung, den kenntnislosen Sortierern, die die Verpackung nicht von der Sache selbst unterscheiden können? Die Verwaltung von allem und jedem, die Bürokratisierung der Wissenschaft und Literatur: Die Weiterführung der Tätigkeit und der Existenz hängt vom gelungenen Antrag ab: Wer bearbeitet ihn im fernen Neubau? Projekte, klangvolle Projekte. Is there anybody there? Übernimmt die Verwaltung endgültig den rebellischen Geist, siegt nicht Marx der Feuerkopf, sondern der Sozialismus auf dem Umweg der DDR bei uns, den Freien?
Ja, und?
    Lehrer: »Hier steht es: Das Leben ohne geistige Formung bleibt sich selbst verborgen.«
    Schüler: »Ja und?«
Dank
    Â»Hast du dich wenigstens bedankt?«
    Â»Nein, wozu?«
Schule und Leben
    Um den Rückzug des Staats aus der Bildung voranzubringen, entwickelten international renommierte Pädagogen ein Projekt der Selbstdidaktik der Kinder. Das unnatürliche Lernen von totem Stoff wird durch die lebendige Kommunikation der Kinder selbst ersetzt; so sollen Fremdsprachen künftig nicht mehr mit Lehrbüchern frontal durch bezahlte Lehrer unterrichtet werden, sondern die Kinder belehren einander selbst, türkische Kinder zeigen den deutschen, wie sie sprechen, und die deutschen Kinder zeigen den türkischen wiederum spielend ihre Sprache. Elternbeiräte und Vertreter der GEW können die Kommunikation formal leiten, sollen jedoch nicht korrigierend und belehrend eingreifen. Dasselbe Verfahren wird auch in anderen Fächern angestrebt, so daß sich die Kinder auch im Rechnen, Schreiben etc. ganz ihres eigenen Verstandes bedienen und sich selbst zu mündigen Bürgern ausbilden. Der Projektbericht wurde von der Bildungsministerin hoch gelobt, zumal auch, wie sie betonte, in Harvard und Stanford ähnliche Formen des natürlichen, zwangfreien Lehrens und Lernens mit Erfolg erprobt würden. Die Stellen der Projekt-Pädagogen wurden verdreifacht, weil man auf außerordentliche Einsparungen bei den Lehrern hoffte.
Höfliche Hörer
    Â»Aber die Studierenden unterhalten sich während Ihrer Vorlesung!«
    Â»Natürlich, aber sie sagten mir, daß sie immer das besprechen, was ich gerade vortrage.«
    Â»Und einige lesen Zeitung!«
    Â»Ja, aber die sind doch still.«
    Der Didaktiker, der die Vorlesung nach dem neuesten Erlaß begleiten muß, nickte.
Neugier
    Man gebe einem Kind ein Glas mit einem Sprung, ein helles Tuch mit einem Fleck, einen Stab mit einem Knoten, einen kaputten Hammer – das Kind richtet die Aufmerksamkeit seines Seh- und Tastsinnes entschieden auf die Unregelmäßigkeit des Gegenstandes. Das Kind zeigt: Es gibt eine interesselose Neugier an dem, was stört.
Ganz anders
    Die Schwarzen sehen die amerikanische Geschichte ganz anders als die Weißen. Für die Altägypter war die Welt ganz anders als für uns. Als ich ein Kind war, sah ich die Scheune dort drüben ganz anders als heute. Die Griechen sahen die Statuen ganz anders als wir. Gottes Vernunft ist ganz anders als die der Menschen. Frauen sehen die Welt ganz anders als Männer.
    Das ganz Andere setzt etwas als identisch voraus, an dem das Andere als das Andere möglich wird. Die Emphase des Anderen möchte dieses gemeinsame Identische vergessen machen, es soll eben ganz anders sein. Wir wollen dagegen anders und genau sein: Wenn Weiße die Geschichte Amerikas ganz anders als

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