Warum aendert sich alles
schätzt und einzig das Wohl der Seele preist und das Wissen von dem wahrhaft Guten an sich, der Idee des Guten, wie dein reicher und gelehrter Schüler Platon sagt. Doch Diogenes der Kyniker rief auf dem Markt, daà unsere Philosophie und Redekunst und überhaupt alles Gute und Schöne und Wahre in Athen nur möglich sei, weil wir den Reichtum aus den Kolonien raubten, und daà die Hügel und Berge und die lieblichen Orte um Sinope abgeholzt würden, um die groÃen Schiffe unsererFlotte bauen zu können, und daà die Zerstörung der Wälder um das Mittelmeer noch sichtbar wäre, wenn niemand sich mehr für die Platonischen Dialoge interessierte, und daà jetzt schon die Götter des Wetters alles eben deswegen ändern würden, das Klima würde anders, weil Athen die Wälder der Kolonien abholzte.«
Sokrates: »Solche Worte redet er?«
Phaidros: »Eben dies tat er, und die Menge klatschte in ihrer blinden Weise Beifall, und er sagte, er könne nicht so kunstvoll reden wie die Rhetoren Athens, er sage nur mit schlichten Worten die Wahrheit, und wieder brauste der Beifall über den Markt.«
Sokrates: »Und ändert er mit seinen Worten die Gesinnung der Kaufleute und der Kriegsleute, endet er den Wahn der Reichen und Mächtigen, oder erreicht er nur den rasch anschwellenden und abklingenden Beifall der Menge? Halten wir uns, guter Phaidros, doch an das, was in unserer Macht liegt, die gut stimmende Rede und die Untersuchung des Wahren und Schönen, und danken wir den Göttern für diesen Hain, den uns die Nymphen und Faune bereiten.«
Kaum hatte er jedoch diese hehren und wahrhaft sokratischen Worte gesprochen, da fuhr ein Wind mit Regen und ungewohntem Hagel und Schnee durch die Bäume und Büsche, und eilends kehrten sie heim, Sokrates zu Xanthippe und Phaidros zum festgefügten Haus seiner Eltern.
Phaidros jedoch kam am folgenden Tag zur groÃen Platane zurück und ordnete seine Gedanken über einen Rià in der Welt; hier Sokrates und Platon, dort Diogenes der Kyniker. Er schrieb darüber ein umfangreiches Buch, aber die Verleger wiesen es zurück, weil der Inhalt ihnen unglaubwürdig schien. Diogenes sagte ihm, wer nachdenkt, schreibt nicht; aber das hatte auch fast wörtlich Sokrates gesagt.
Vor uns
Die Sumerer und andere frühe Völker des Orients waren der Auffassung, daà die Vergangenheit vor ihnen war und sie ihr ins Angesicht sahen, während die Zukunft, in die sie sich hinein bewegten, unsichtbar und unbekannt hinter ihnen lag. Wohin stürzt die Menschheit, die meint, die Zukunft liege uns vor Augen? Die Zukunft ist nicht machbar, und sie liegt dort, wo wir nichts sehen, in unserem Rücken. Jeder wendet sich ungläubig ab, als ob es umgekehrt wäre.
»Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heiÃt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muà so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewandt. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die FüÃe schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daà der Engel sie nicht mehr schlieÃen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.« (Walter Benjamin)
Zukunft
Panzer der Zukunft sind in die Vorstädte eingerückt und nähern sich mit langsamen, tastenden Bewegungen dem Regierungsviertel und dem Präsidentenpalast, ohne daà die da drinnen es wahrnehmen, obwohl sie das Dröhnen doch hören müÃten. Die Regierenden rechnen noch immer mit stabilen Beziehungen zu den Kolonien der Zukunft, aber diekünftigen Land- und Menschenmassen und Ressourcen gehörten nie der Gegenwart. Die Machthaber hatten sie ohne rechtliche Grundlage zunehmend besetzt und ausgebeutet, und weil sie auf keinen Widerstand stieÃen, kalkulierten sie auf weitere Jahrzehnte mit festen Profiten, um so in der Gegenwart
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